Ist “Juxe” verpönt?

Lachen, singen, tanzen, herumtollen drückt Freude und Wohlergehen aus und schweißt Menschen zusammen. Diese Tugenden stärken eine Gemeinschaft. Und wenn Menschen auch noch bereit sind, sich kollektiv zum Brauchtum und zum Volkstum zu bekennen, dann wird der Zusammenhalt in einer Gesellschaft noch mehr gefestigt.

Diese Tatsache beobachtete ich an dem gemeinsamen Fest der ehemaligen Sanktandreser Banater Schwaben und der heutigen Bevölkerung von Sânandrei an Fronleichnam im großen Zelt („Balon“) neben dem Sanktandreser Rathaus. Unser Chor singAndres nahm ins Repertoire das Lied „Was is de Schwob“, die rumänischen Dorfbewohner erzählten von ihrem Brauchtum. Die Lieder der Rumänen wurden mit traditionellen Verseinlagen untermalt und wir Banater Schwaben „juxten“ eben bei der anschließenden Tanzunterhaltung (s. Von heimatlichem Feeling überwältigt oder das Video Ein schöner Tag in Sanktandres – In heimatlichen Gefilden). Und dabei verschmolz sich ein kulturelles Erbe der Deutschen mit dem Kulturgut eines südosteuropäischen Landes wie Rumänien. Nicht umsonst war unsere Heimatortsgemeinschaft mit dem Slogan „Sanktandres – auf europäischem Weg“ unterwegs und bewies damit, dass wir Banater Schwaben tatsächlich als echte Brückenbauer in einer großen Europäischen Union verstanden werden.

In heimatlichen Gefilden, Aufnahme: Karl Maiterth

Um das ereignisreiche Jahr der Temeswarer Kulturhauptstadt 2023 besser an die breite Öffentlichkeit zu bringen, bestellte das Deutsche Kulturforum östliches Europa einen Stadtschreiber. So soll das gegenseitige Verständnis und der interkulturelle Dialog gefördert werden.
Was ist überhaupt ein Stadtschreiber? Ich guckte in der freien Enzyklopädie Wikipedia nach: „Als Stadtschreiber bezeichnete man den mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Leiter einer städtischen Kanzlei. Durch seine Bildung, Erfahrung und lange Dienstzeit konnte er auf die Stadtentwicklung oft einen bedeutenderen Einfluss ausüben als der jeweils nur kurzfristig amtierende Bürgermeister.“ Und was macht ein Stadtschreiber heutzutage? „Heute ist der Stadtschreiber in Deutschland zumeist ein Schriftsteller, der auf Einladung der Stadt für eine befristete Zeit als Autor und Literaturvermittler wirkt“, berichtet das gleiche Internetportal mit Informationen zu allen Wissensgebieten.
Eine Jury des Deutschen Kulturforums östliches Europa hat den Autor und Dramatiker Thomas Perle zum Stadtschreiber von Temeswar für fünf Monate im Rahmen des europäischen Kulturhauptstadtjahres auserkoren (s. https://kulturforum.info/de/preise-stipendien/stadtschreiber-stipendium/8802-thomas-perle-ist-stadtschreiber-in-temeswar-timisoara-2023). Das von den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien dotierte Stadtschreiber-Stipendium dient dazu, das gemeinsame kulturelle Erbe der Deutschen und ihrer Nachbarn in jenen Regionen Mittel- und Osteuropas, in denen auch Deutsche gelebt haben oder aber heute noch leben, in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es soll darüber hinaus das gegenseitige Verständnis und den interkulturellen Dialog fördern. So der Standpunkt des Kulturforums. Eine bemerkenswerte Initiative. Anregungen dieser Art sind in einem einheitlichen Europa gefragt. Nur sollte man mit diesen Richtlinien umgehen zu wissen. Auf der Website des Kulturforums ist zu lesen: „Das als gemeinsame Grundlage verstandene kulturelle Erbe ist für das Kulturforum ein Element des Brückenbaus zwischen Deutschland und diesen Regionen. Eine lebendige Erinnerungskultur im Dialog mit Partnern aus den Ländern des mittleren und östlichen Europas dient der Versöhnung und Völkerverständigung.“ Da brauchen die Banater Schwaben wie auch die Siebenbürger Sachsen sich sicherlich nichts vormachen zu lassen.

In der Zeit der Heimattage der Banater Deutschen im Banat 2023 zeigten neben der Sanktandreser Heimatortgemeinschaft auch andere Verbände in vielen anderen Ortschaften ihre Präsenz und veranstalteten schöne Feste mit Brauchtumspflege. In Temeswar und in Bakowa zum Beispiel zogen Paare mit unseren Trachten durch die Straßen, die von vielen Schaulustigen begleitet wurden. Die Freude war den Trachtenträgern und dem am Rande stehenden Publikum ins Gesicht geschrieben. Sie „juxten“ ausgelassen und bekundeten ihre Ausgelassenheit. Und nun soll plötzlich das „Juxe“ verpönt sein? Nicht bei den Banater Schwaben. Bei jeder Tanzunterhaltung, an großen Festtagen in Deutschland und im Banat, wie zum Beispiel an den Kirchweihfesten, wenn die Trachtenpaare mit ihrer Tracht stolz durch das Dorf oder durch deutsche Städte ziehen usw. geht man davon aus, dass das „Juxe enfach drzu kheert“. Die „Schwoweleit“ haben sich bisher nichts dabei gedacht.

Banat-Tour mit Astrid Ziegler, Aufnahme und Schnitt: Hans Rothgerber

Natürlich kann man da geteilter Meinung sein. Der beste Beweis ist ein veröffentlichter Beitrag des Temeswarer Stadtschreibers Thomas Perle. Er ist im Kreis Maramureș, Vișeu de Sus (Rumänien) geboren, dreisprachig in Deutschland aufgewachsen und ist als Autor und Dramatiker in Österreich, Deutschland und Rumänien tätig. Er studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und war neben dem Studium an mehreren Theaterhäusern engagiert. Das sind die Daten, veröffentlicht auf der Homepage des Deutschen Kulturforums östliches Europa.

Ein Blog bildet ein Medium zur Darstellung von Meinungen zu spezifischen Themen, was der Stadtschreiber Perle voll nutzte. Thomas Perle “belebt” aus seiner Sicht das gegenseitige Verständnis und den interkulturellen Dialog folgendermaßen (klicke das Wort liebling im Blog an): 

Wie ein Lauffeuer erreichte der Beitrag die breite Masse der Banater Schwaben, die stets versucht, das ethnische und das multikulturelle Banat noch enger zusammenzuführen.

Als Auftraggeber müsste sich das Forum schon die Frage stellen: Hat der Erkorene, der Stadtschreiber von Temeswar, seine Aufgaben erfüllt? Kommt dieser der oben erörterten Grundlage nach? Ich bezweifle es. Und nicht nur ich. Die Autorin des Mitmachbuches „Komm, mach mit“, Helga Ritter, analysiert in ihrer neuesten Reihe in der Banater Post vom 5.8.2023 dieses sogenannte Werk „liebling“ des Stadtschreibers. Zunächst geht sie der Frage nach: Was heißt interkultureller Dialog? Sie stellt klar: „Interkultureller Dialog heißt miteinander reden, statt übereinander reden.“ Sie bietet dem Stadtschreiber an, das Banat zu entdecken und auch mit Menschen zu reden, die mit tiefster Seele noch Lieder und Brauchtum aus der Vergangenheit mitempfinden. Ja, noch mehr. Sie bezeichnet ihn zurecht als ein „erfahrungsarmer Banat-Blinder“.

Nicht zu Unrecht richtete diesbezüglich der banatschwäbische Journalist Helmut Heimann ein Schreiben an Dr. Harald Roth, Kulturforum östliches Europa, mit dem Titel „Stadtschreiber Temeswar kommt Stipendiumsaufgabe nicht nach“. Er schreibt:
Sehr geehrter Herr Roth,
ich schreibe Ihnen als banatschwäbischer, seit 33 Jahren in Deutschland lebender Journalist.
In seinem Blog vom 05.07.2023 mit der Überschrift liebling ist der Temeswarer künstlerische Stadtschreiber in weiten Teilen seiner gemäß Stipendium formulierten Aufgabe nicht nachgekommen, “das gemeinsame kulturelle Erbe der Deutschen und ihrer Nachbarn in jenen Regionen Mittel- und Osteuropas, in denen auch Deutsche gelebt haben oder heute noch leben, in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es soll darüber hinaus das gegenseitige Verständnis und den interkulturellen Dialog fördern.”
Lesen Sie bitte selbst: liebling.
Gemäß Erfahrung meiner fast 40-jährigen journalistischen Tätigkeit, darunter mehr als 22 Jahre bei der größten Zeitung Europas, bedeutet Meinungsfreiheit weder Narrenfreiheit noch Freifahrtschein. 
Während der kommunistischen Diktatur habe ich, in Rumänien lebend, unter Lebensgefahr regierungskritische Berichte in westdeutschen Zeitschriften mit meinem vollen Namen, in Klammern Rumänien, veröffentlicht und nicht unter einem Pseudonym. Diese Zeitschriften kamen damals per Post nach Rumänien. Hätte sie der Geheimdienst Securitate entdeckt, könnte ich Ihnen diese Zeilen wohl nicht schreiben.
Was ich damit ausdrücken will: In Sachen Meinungsfreiheit kann man mir kein X für ein U vormachen.
Mit freundlichen Grüßen,
Helmut Heimann
Freier Journalist

In der Banater Zeitung (Beilage der ADZ), Jahrgang 31, Ausgabe 1532 vom 9. August 2023 schreibt der Redakteur dieses Blattes, Siegfried Thiel, unter dem Titel “Stadtbild: Tristesse in Häppchen serviert” folgende Zeilen: Eigentlich sollte dieser Beitrag „Ein Stadtschreiber, der nicht(s) schreibt“ heißen. Aber dann würde man mir das „nichts“ ankreiden. Denn da ist doch was. Aber was? Der Stadtschreiber, der eigentlich das Temeswar-Bild vermitteln sollte, bringt auf seinem Blog stadtschreiber-temeswar.de eigentlich nicht viel, das diese Stadt im Kulturhauptstadtjahr fördern könnte. Ein Erfolg wäre es schon gewesen, wenn die Stadt und ihr Umfeld so dargestellt würde, wie sie wirklich ist – mit Gutem und weniger Gutem. … Die Heimattage der Banater Deutschen ignoriert der Autor. Literarische Momente, Musik, Ausstellungen, all das ist kein Thema für den Stadtschreiberblog. Im Gegenzug war er akribisch auf der Suche nach Elementen in Temeswar, die seit vielen Jahrzehnten zum Stadtbild gehören, und die er nun mit Faschismus in Verbindung bringt und pickt sie dann heraus. Ansonsten: Ein Bild von der Stadt und seinen Menschen erhält man keines, auch wenn die geposteten Fotos noch das Beste am ganzen Blog sind.

Meine Meinung: Man darf sich nicht wundern, wenn man den Text der monotonen Kleinschreibung mit abgehakten Sätzen des Stadtschreibers unter die Lupe nimmt. Was will dieser junge Mann überhaupt bezwecken? Bestimmt nicht das, wofür er beauftragt wurde. Er schreibt von einer „befremdlicher brauchtumspflege.“ Es stört ihn der „seltsame aufmarsch“ der Trachtenpaare, die „blasmusik. das geschrei“ und „gejohle in die kirche.“ Er bindet Anmerkungen wie „die frauenkörper zu glocken formen“, „plastikspitze“ und „tücher aus türkiye“ in seine sogenannte künstlerische Fähigkeit mit ein. Der banatschwäbische Dialekt stört ihn auch. Erstaunlich ist, er kennt nur die Tracht aus der Maramureș, die seine Mutter einst getragen hat. Er bezeugt uns Banater Schwaben eines nationalistischen Mitdenkens, das wir angeblich Tradition nennen würden, so der Stadtschreiber. Und, und… Fast alles stört ihn an uns Banater Schwaben, die in Deutschland ihre Trachten gerne zeigen und auch hier von der breiten Bevölkerung akzeptiert werden. Und im Banat, wo fast keine deutschen Menschen mehr leben, trägt die rumänische Jugend immer mehr mit großer Begeisterung unsere Tracht. Ist doch irre. Die Menschen von Ost und West wollen ein kulturelles Miteinander. Dem Stadtschreiber, dem anscheinend das Wissen über die Region Banat, über die dort lebenden Bewohner oder über eine Volksgruppe, die einst dort lebte, fehlt, reißt eine tiefe Kluft in der heutigen europäischen Gesellschaft, anstatt gezielt Brücken zu bauen. Irgendwie wünschen wir uns bzw. die Menschen, die sich ein friedliches kulturelles Miteinander erhoffen, dass die fünf Monate des Herrn Perle ein Ende nehmen. Und die beauftragte Jury sowie das Gremium des Deutschen Kulturforums östlichen Europas sollte sich vielleicht Gedanken machen, ob die Entscheidung, ein Stadtschreiber mit diesbezüglicher Unerfahrenheit die richtige Person dazu war.
Ich danke den Menschen, die Tacheles reden und sich gegen Achtlosigkeit opponieren. Ich danke Frau Ritter und den Herren Heimann und Thiel für ihr Entgegenwirken und dafür, dass ich ihr Widersetzen hier veröffentlichen darf.

3 Gedanken zu „Ist “Juxe” verpönt?“

  1. Grüß Gott liebe Andreser,

    also ich bin noch immer Sprachlos !
    Kommt wahrscheinlich von meiner Erziehung, Alter, Denken.
    Eine einzige Frage hätte ich doch:

    – Wie konnte das hochqualifizierte Gremium diese Person als Stadtschreiber ernennen,
    oder war er der einzige Kandidat ?

    Man kann doch nicht einen Grünschnabel, ein Nichtbanater beauftragen über das Banat, Brauchtum, Kultur, Ortschaften zu berichten ?!? Das war eine offene Beleidigung an alle Banater, an Temeswar !
    Meine persönliche Meinung.

    Liebe Grüße an Alle die mich kennen und Heute auch an Alle die mich nicht kennen.

    Franz

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  2. Das hast du gut gemacht.
    Rauslassen was auf der Seele brennt.
    Und das ist gut so und berechtigt.
    Wäre gut wenn der Herr “Stadtschreiber” das auch lesen würde.
    Grüße MF

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  3. Liebe Andreeser,
    das was sich Herr Thomas Perle erlaubt ist eine bodenlose Frechheit. Er bezieht sich auf das Kirchweihfest dieses Jahr in Bakowa. Ich war dort musikalisch dabei und kann nur in Superlativen davon berichten. Es waren 70 Trachtenpaare dabei sehr viele Juxer. Hunderte Gäste haben diese Tage in Bakowa genossen, ein Einziger nicht. Lieber Herr Stadtschreiber, lassen Sie uns unsere Feste feiern und dabei juxen, das ist ein Ausdruck von Freude. Wir Andreeser sind auch sehr tolerant und geben Ihnen Nachhilfeunterricht in Brauchtumspflege und wir bringen Ihnen auch das Juxen bei.

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