Weihnachten in Sanktandres

In den 50er, 60er und 70er-Jahren war das Thema Klimawandel noch tabu. Zu jener Zeit war Frühling mit seiner vollen Schönheit und mit dem allgegenwärtigen Duft der blühenden Akazienbäume Frühling, der Sommer mit seiner unerträglichen Hitze und der mit Blitz und Donner begleitete warmen Regen Sommer, der Herbst mit seinen nebelreichen Tagen und mit dem bunten Laub Herbst und der Winter mit einer schneeweißen Pracht und mit den christlichen Feiertagen Winter.

Der Wintereinzug und die Festtagsversorgung

Als es hieß „wenn`s stürmt und schneit, ist Weihnachten nicht mehr weit“, da grübelten die Menschen mit ihren Geschenkideen. Die ersten Anzeichen zum Vorbereiten der Winterfeiertage waren getan. In keinem Haushalt durfte der Christbaum fehlen. In der ebenen Landschaft unseres Dorfes ragte fast kein lebendes Gehölz von Fichte oder Tanne zum Himmel empor. Die Bewohner waren gezwungen, in die Banater Großstadt nach Temeswar zu fahren, um ein Bäumchen zu besorgen. Auf den Marktplätzen in der Fabrikstadt, in der Innenstadt oder in der Josefstadt bot man Fichte und Tanne aus den Wäldern des rumänischen Gebirges an. Die Fuhrleute mit ihrem Pferdegespann warteten bereits am Rande der Verkaufsstellen, um die erworbenen Bäume der Leute nach Andres nach Hause zu bringen. Die ersten Vorfreuden für die christlichen Feiertage machten sich breit.
Jetzt waren doch noch die „großen“ Wünsche der Kinder zu erfüllen. Man stellte sich in der Schlange der Lebensmittelmärkte an, um Orangen, Bananen und Datteln zu ergattern. Auf welche Genussmittel freuten sich die Kinder noch? Es war der tafelförmige „Krumbierzucker“, der Christallblock eines „Bruschtzuckers“ und die grünverpackten Pralinen – “de Vingaschokolodi“; es waren Delikatessen, die im Gegensatz zu den exotischen Früchten erst an Heiligabend verschenkt wurden. An den Apfelsinen kaute man manchmal auch schon im Vorfeld des Festes. Die Orange wurde zehenartig getrennt und im Familienkreis altersgerecht verteilt. Die Kinder profitierten an der Verteilung. Die grünen Bananen aus Südamerika legte man noch auf eine alte, bereits durchblätterte Zeitung, um sie bis Weihnachten noch etwas reifen zu lassen. Für den guten Duft des Raumes sorgten noch die dicken „Kittäppl“ (Quitten), die man ebenfalls auf dem Schrank lagerte. Diese pflückte man im Spätherbst, aber im eigenen Garten.

Am Heiligen Abend

Am 24. Dezember zogen Kinder verkleidet als Hirten und „Chrischtkindle“ mit einem sogenannten Christbaumträger von Haus zu Haus, verteilten kleine Geschenke und verkündeten Christus Geburt (s. Christkind und Hirten in Sanktandres oder Aktuelles: Sanktandres in der Banater Zeitung mit dem Bericht Sanktandreser Hirtenspiel).
Andere Kinder wiederum eilten an jenem Tage von der Eisfläche am Rande des Nyarad-Baches mit ihren Schlittschuhen oder vom kleinen Abhang am artesischen Brunnen in der „Zwettgass“ oder von der Böschung am Bahnhof mit ihren vereisten Schlitten früher heim als sonst. Der Himmel dunkelte und der Heilige Abend war angebrochen. Die Kleinen erkundigten sich bei Mutter noch, ob ihre Gehorsamkeit ausreiche, um das Christkind von der angestellten langen Leiter am Kirchturm vom Himmel hinabsteigen zu lassen. Beim Heimgang schalteten die Buben doch schon ihre Taschenlampen an und leuchteten hinauf zum hohen Kirchturm, um dieses eventuelle Wunder vorab schon zu inspizieren.

Und als die Familie ins Zimmer (in die Parodistub) trat, stand vor ihnen ein geschmückter Christbaum. Der Baum glitzerte mit seinen bunten Kugeln und mit dem Lametta, das die Eiszapfen im Winter darstellen sollten. Auch „Franzenzucker“ (Salonzucker), verpackt in Stanniol hangen an den Ästen. Wattefetzen deuteten auf weiße Schneeflocken hin. Weiße Kerzen von der Spitze bis zum Fuße des Baumes waren festgeklemmt. Für kurze Zeit durften sie an diesem Abend unter Vaters Aufsicht aufflammen. Der gezackte Stern in der Spitze des Baumes symbolisierte den Stern von Bethlehem. Es schien so, als blicke er nun zur angesammelten Familie, denen er zukünftig viel Glück bringen wollte. Um den Baum lagen die verpackten Geschenke. Es wurde mäuschenstill. Der beste Sänger/in der Familie stimmte bekannte Weihnachtslieder an. Nach dem leisen Gesang wurden die Geschenke verteilt. Die Großeltern, Mutter und Vater und vor allem die Kinder freuten sich. Jeder auf seine Art und Weise.
Ehr selten, aber ab und zu bestellte man auch einen Hobbyfotografen (Herrn Schreiber oder Herrn Bernsteiner) ins Haus, um dieses überaus schöne Ereignis für ewig festzuhalten.

Traditionell wurde am Heilgen Abend geräucherte „dinni Worscht“ (s. Rezept im kulinarischen Bereich unter “Dinne Worscht“) gekocht. Dazu reichte man Kartoffeln oder Brot und „Kriensoß“ (Meerrettichsoße). Man erzählte, dass noch vor dem Krieg die armen Leute am weihnachtlichen Vorabend die Wurstbrühe tunkten und die schmackhafte Wurst erst am Feiertag speisten.
Zum Naschen backte man neben dem Kleingebäck gewöhnlich auch noch aus einem Hefeteig Mohn- und Nussstrudel. Vor Neugier fragten die Kleinen sich, wer hat den Kuchen nun wirklich gebacken. War es etwa das Christkind? Denn wenn der Himmel sich zu jener Zeit beim Abendrot leuchtend färbte, sagte Oma doch sehr überzeugend: “G`sischt Kind, jetz backt`s Chrischtkindl de Kuche.”

Die Dorfjugend, in „Gaschgas“ (Cliquen) geordnet, versammelte sich bei einem Kameraden der aufgestellten Gruppe. Die Herrschaften spielten gewöhnlich „Fuchse“ (banat-schwäbisches Kartenspiel), die Mädchen schauten zu, plauderten oder spielten einfach mit. Kurz vor Mitternacht flanierte die Jugend zunächst in den dunklen Gassen. Die Straßenlaternen setzte man außer Betrieb, denn im ganzen Land sparte man elektrischen Strom. Nur der leuchtende Mond hielt seine Wacht. Wenn der Schnee über die Fahrwege schimmerte und glitzerte, kam es auch noch zu einer erfreulichen Schneeballschlacht. Um Mitternacht vor dem „Zammleite“ (das letzte Glockenläuten vor Beginn des Gottesdienstes) stand die Dorfgemeinschaft vor dem Kircheneingang. Die „Buwe“ (Jungs) trennten sich nun von den Mädchen und suchten auf der Empore neben dem Kirchenchor ein geeignetes Plätzchen. Während der Christmette drückten sie abwechselnd gewaltig auf den Orgelbalg, sollte das wunderbar tönende Pfeifen der Orgel ja nicht verstummen. Der Gottesdienst war für viele Bewohner der schönste Moment der Weihnachtszeit. Wenn zum Schluss der heiligen Messe der Chor das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ in den gewölbten Gottesraum trällernd wirken ließ, überrollte so manchen Anwesenden ein besonders reizvolles Gänsehautgefühl. Und dann… Beim Verlassen des Gotteshauses ertönten vom Glockenturm her Trompetenklänge, die weit übers ganze Dorf die Botschaft der Geburt Christi verkündete.

Weihnachten im kommunistisch regierten Andres

Weihnachtsjahrzehnte in Sanktandres nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wende: Um 5 Uhr in der Früh standen die meisten Menschen in der Busstation und warteten auf die Abfahrt des Buses in Richtung Temeswar. Jesus Geburt war der kommunistischen Ideologie ein Fremdwort. In den Betrieben sollte gearbeitet werden. Der zuständige Parteisekretär des Betriebes machte deswegen eine kurze Stippvisite bei der erschienen Belegschaft. Nach seinem Abtreten war es geschehen. Jeder Werktätige legte irgendwie ganz verstohlen die Arbeit nieder. Aus der Arbeitstasche holten die Beschäftigten ihre Weihnachtsleckereien hervor und probierten die Köstlichkeiten jedes Einzelnen.
Nach dem Verlassen des Unternehmens machten viele „Proletarier“ noch einen Abstecher in einer nahe gelegenen Kirche, bevor sie wieder mit dem Landbus heimwärts zogen.
Daheim stand gewöhnlich ein köstliches Essen, zum Beispiel „Karmenodl“ (Schweinekotelett) vom frisch geschlachteten Hausschwein mit Kartoffelbeilage auf dem Festtagstisch. Der eigene Hauswein aus dem Garten verstärkte den Geschmacksinn vom weihnachtlich verdienten Abendmahl. Wenn die Großmutter noch Zeit zum Backen hatte, gab es als Nachspeise die gut bekannte „Krempitte“ (mit Milchcreme gefüllter Teig) aus Schmer zubereitet zu essen.
Die Kinder griffen lieber zu ihrem “Godesach”, das sie von den Taufpaten als Weihnachtsgeschenk erhielten. Diverse Süßigkeiten füllten den Geschenkkorb.

Dem Apostel Johannes wird am 27. Dezember gedacht. Das hieß am Vorabend dieses Tages, also am 2. Weihnachtstag feierte man dessen Namenstag. Bewohner mit dem Namen Hans gab es reichlich viele im Ort. Reges Treiben wickelten sich in den Gassen des Dorfes ab, wollten die Familien doch die Verwandten und alte Bekannten mit dem Namen Hans nicht außer Acht lassen. Nach dem Gratulieren spielten die Männer meistens Karten und die Frauen plauderten sich von der Seele.

Lichterglanz an Weihnachten und die Erinnerungen

Auch in der neuen Heimat greifen die Andreser immer wieder gerne auf die alte Tradition zurück. In vielen Hinsichten tut man sich heutzutage viel leichter.
Alles ist bunter und vielleicht auch schöner. Die Wünsche häufen sich mehr und mehr. Und gewiss erinnert so mancher Banater Schwabe sich dabei an die Heilige Nacht, die er vor paar Jahrzehnten im südöstlichen Europa erlebte… die Heilige Nacht im Wandel der Zeit:

Als ich ein Kind noch gewesen, das ist schon lange her,
da war Weihnachten noch ein Erleben, ein Märchen und noch viel mehr.
Es gab nur kleine Geschenke, denn wir waren ja nicht reich,
doch die bescheidenen Gaben kamen dem Paradiese gleich.
Da gab es Kuchen, Äpfel und Nüsse, mitunter auch ein Paar Schuh
und wenn es die Kasse erlaubte ein kleines Püppchen dazu.
Wie war doch das Kinderherz selig und froh, von all’ der herrlichen Pracht,
und es war ein heimliches Raunen, um die stille Heilige Nacht.
Dann wurde ich älter und größer und wünschte mir das und dies,
hörte auf an das Christkind zu glauben und verlor dabei das Paradies.
Und dann kam der Krieg, mit all’ seinen Leiden, mit Hunger, Elend und mit Not.
Da wurde ich wieder bescheiden und war dankbar für jedes Stück Brot.
Wir alle wurden da kleiner und nur ein Wunsch hatte da Macht,
wir wollten vereint sein mit unseren Lieben, in der stillen, Heiligen Nacht.
Doch der Wunsch erfüllte sich selten, denn die Lager draußen waren grausam unter Wacht.
Wir alle waren einsam und weinten, in der stillen, Heiligen Nacht.
Und als dann Krieg und Folterung war zu Ende, wuchs eine neue Jugend heran,
die hatte auch ihre Wünsche an den lieben Weihnachtsmann.
Nur waren die nicht klein und bescheiden, denn der Wohlstand kam ins Land.
Die Wünsche wurden immer größer und größer und das Schenken nahm Überhand an.
Nun wird gewünscht und gegeben und keiner fragt nach dem Wert.
Vergessen sind Krieg, Elend und Armut und die Stunden am einsamen Herd.
Aus dem schönsten der christlichen Feste hat der Mensch einen Jahrmarkt gemacht.
Er wünscht sich vom Besten das Beste und vergisst dabei den Sinn der Heiligen Nacht.

Verfasser unbekannt, Foto: Tannenbaum im Hof von Familie Schadt/Brommer in Erlangen (Bayern)