Annäherungen an das Ungesagte

Genau vor 80 Jahren ratterten die Räder von hunderten Dampfloks mit tausenden Viehwaggons in Richtung des proletarischen Reiches, in die Sowjetunion, eine der vier Siegermächte über das nationalsozialistische Deutschland. Die festverriegelten Waggons führten mit sich mehr als 90.000 Deutschstämmige aus Jugoslawien, Ungarn und Rumänien. Aus dem Banat allein waren mehr als 33.000 Banater Schwaben und Berglanddeutsche in den abscheuerregenden Waggons wie Viecher zusammengepfercht. Und warum? Sie waren Deutsche. Sie trugen alle einen deutschen Namen. Es waren Frauen und Männer, die zum Wiederaufbau der UdSSR verpflichtet wurden. Der “große” Stalin hat es angeordnet und die Alliierten ließen durch ihr Schweigen es einfach zu.
50 Jahre verschwieg man hüben wie drüben diese Gräueltaten. Erst nach dem Fall des Kommunismus im östlichen Europa und ab dem Beginn einer Aufarbeitung dieser Deportationszeit in einem freien Rumänien wagte man hierzulande im Jahr 1995 ein gründliches Untersuchen dieses abscheulichen Vorfalls, um neue Erkenntnisse ans Tageslicht zu bringen. Nach 80 Jahren leben nur noch wenige Zeitzeugen dieser Schreckenszeit. Vieles wurde jedoch erforscht und dokumentiert und immer wieder kommen neue Erkenntnisse zum Vorschein. Die Literaturnobelpreisträgerin (2009) Herta Müller trug diese schreckliche Zeit in die Öffentlichkeit und setzte durch Literaturkunst diese inhumane Deportation zur öffentlichen Diskussion.
Am 18. Januar 2025 – nach 80 Jahren – bot man vielen Geschichtsinteressierten und Betroffenen in der Stadt Ulm ein ehrendes Gedenken an die Opfer der Verschleppung von 1945.

Ausstellung “Verschleppung” im DZM

Die Ausstellung zeigt donauschwäbische Erinnerungen an die Zwangsarbeit in der Sowjetunion.

Es sind Dinge ausgestellt, die die Deportierten mit sich trugen, denn diese Gegenstände hatten eine große Bedeutung für die geschundenen Menschen. Dinge erzählen Lebensgeschichten.
Im Lager war von allem zu wenig. Krankheiten und Verletzungen sind allgegenwärtig. Im Stollen stehen Menschen knöcheltief im Wasser. Neben dem Hunger zehrt vor allem eine ständige Kälte an ihren Kräften.
Die Deportierten und ihre Angehörigen und Freunde haben sich jahrelang nicht gesehen. Geliebte Menschen sind tot, Kinder von ihren Eltern getrennt aufgewachsen. Selbst die Heimkehr machte Schwierigkeiten zum Weiterleben. Man sang immer wieder das Russland-Lied.
Die Ausstellung kann man im DZM Ulm bis zum 21.4.2025 besichtigen.

Gedenken mit Kranzniederlegung

Die Gedenkveranstaltung in Ulm begann mit einem Gedenken am Donauschwabendenkmal am Ufer der Donau unter Mitwirkung von Vertretern der christlichen Kirchen.


Am Kriegerdenkmal waren anwesend von links nach rechts: Erwin Josef Țigla (Vorsitzender des Forums der Banater Berglanddeutschen), Dr. Vlad Vasiliu (rumänischer Generalkonsul in Stuttgart), Pfarrer Paul Kollar, Pastor Michael Gross, Peter-Dietmar Leber (Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben), Rainer Lehni (Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen), Dr. Bernd Fabritius (Präsident des Bundes der Vertriebenen), Jürgen Harich (Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben).


Begrüßung und Grußworte


Die Veranstalter dieses Nachmittags im Stadthaus Ulm waren: Die Landsmannschaft der Banater Schwaben, der Verband der Siebenbürger Sachsen, die Kulturreferenten für den Donauraum sowie die Kulturreferentin der Siebenbürger-Bessarabien-Dobrodscha-Karpatenraum.
Mit freundlicher Unterstützung: Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales; Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie die Kulturwerke der Banater Schwaben und Siebenbürger Sahsen.


Zunächst begrüßten die Bundesvorsitzenden der LM der Banater Schwaben und des Verbandes der Siebenbürger Sachsen die zahlreich erschienenen Gäste. Sie schilderten den Leidensweg der 90.000 Deportierten im südöstlichen Europa. Zum ersten Mal wären bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung keine Zeitzeugen mehr dabei, so die Feststellung der Vorsitzenden. Sie fragten, ob Kinder der Verschleppten noch anwesend wären. Es gibt sie. Der Reihe nach erhoben sie sich von ihren Plätzen. Emotionalität beherrschte eine Zeit lang den Saal.
(Foto: Ch. Neu. Kinder und Enkeln der Deportierten)

Sodann ergriff der Oberbürgermeister der Stadt Ulm, Martin Ansbacher, das Wort. Er betonte die gute Patenschaft der Stadt mit den Banater Schwaben. Er wies auf den abscheulichen II. Weltkrieg hin, der von Nazideutschland ausging, und deutete auf das Aufstacheln des Diktators aller Deutschen hin, inklusive der Volksdeutschen, die sich teilweise von den Machenschaften des Diktators hinreißen ließen. Dem widersprach der Präsident des Bundes der Vertriebenen, wenn es um die Sache Deportation geht. Er argumentierte aus eigenen Erfahrungen heraus, hätte sein Vater sich doch nicht in der deutschen Armee beteiligt und trotzdem Not und Leid in einem russischen Gulag ausharren müssen. Tausende unschuldige Menschen machten die gleiche Erfahrung. Sie trugen nur einen deutschen Namen. Das reichte, um zum Opfer dieser Schandtat zu werden. Nicht unerwähnt blieben die Entschädigungszahlungen des rumänischen Staates für eine Wiedergutmachung an die Betroffenen und deren Kinder. Einzigartig in ganz Europa! Der rumänische Generalkonsul in Stuttgart baut auf eine gute Völkergemeinschaft und ist sich sicher, dass dadurch der Friede auf Erden zu sichern sei. Zu Gast war auch die rumänische Generalkonsulin Miheia-Mălina Diculescu-Blebea in München.
Die Vorsitzenden beider Landsmannschaften lasen die Botschaft (das Grußwort) der Beauftragten für die Belange der Aussiedler und Vertriebenen der Bayerischen Staatsregierung, Dr. Petra Loibl, und des Landes Nordrhein-Westfalen, Heiko Hendriks, vor.

Peter-Dietmar Leber und Rainer Lehni
Martin Ansbacher
(OB Ulm)
Dr. Bernd B. Fabritius
(BdV)
Dr. Vlad Vasiliu
(rum. Generalkonsul)

Die Deportation in der Kunst

Das Erinnern muss nun die Generation übernehmen, der vielleicht manches erzählt wurde, denn Zeitzeugen gibt es kaum noch. Durch Kunst kann man Erinnerungen bewahren und natürlich auch weitergeben. Unter der Leitung von Dr. Heinke Fabritius (Moderation) wurden vier Künstler aus unterschiedlichen Kultursparten befragt. An der Podiumsdiskussion nahmen die aus Siebenbürgen stammenden Iris Wolff (Buchautorin) und Heike Schuster (Tänzerin) teil. Aus dem Banat (Liebling) beteiligte sich Erika Möwius (Kunsttherapeutin) und aus Luxemburg schilderte der Fotograf Marc Schroeder seinen Bezug zur Deportationsbeschreibung der Rumäniendeutschen.


Die in Kronstadt geborene Heike Schuster führte vor dem begeisterten Publikum einen Tanz auf, der an die Deportation ihrer Großmutter erinnerte. Sie schilderte, wie dieser Tanz zustande kam und was diese künstlerische Darbietung bei einem jungen Publikum bewirken kann.
Die Tänzerin beeindruckte ihre Stadtgefährtin – beide leben in Freiburg – Iris Wolff sehr.


Zwei unterschiedliche Künstler interpretieren eine Befragung zur Deportationszeit. Ein Gemälde (li.) von der Banaterin Möwius und ein Foto (re.) des Luxemburgers Schroeder zeigen überraschend künstlerisch gleiche Fakten. Schroeder erfuhr erst im Jahr 2010 von der Deportation der Rumäniendeutschen und war schockiert.

Banat im ’49

Es ist ein Gedicht in banatschwäbischer Mundart von Rainer Kierer aus Orzydorf, vertont von Wilfried Michl, ebenfalls ein Orzydorfer.
Wilfried Michl (Gesang) und Tobias Schmid (Klavier) rissen die Anwesenden in die Magie eines traurigen Kapitels, das sich in unserer Geschichte ereignete.
Es ist ein wahrhaftiges Ereignis. Die Mutter musste ihr Kind zurücklassen, als sie im Januar 1945 in die Sowjetunion deportiert wurde. Nach fünf Jahren Verschleppung kehrte sie heim, doch das einst verlassene Mädchen erkannte ihre Mutter nicht mehr. Eine Welt bricht in Mutters Gemüt zusammen. Viele Mütter dürften ein ähnliches Schicksal erlebt haben.
Die Moderation der Veranstaltung insgesamt hatte Dagmar Seck, Bundeskulturreferentin des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, inne.
Ruth Maria Rossel spielte mit ihrem Cello wunderbare Intermezzi, wie “Atlantis Island” von Alexander Mohr oder “Kanon in D-Dur” von Johann Pachelbel, während des Nachmittags, und sie setzte auch den Schlusspunkt der sehr gelungenen Veranstaltung. Wenn Kunst zum Erinnern aufruft…

“Banat ’49” vorgetragen im Stadthaus Ulm 2025

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