Eindrücke vom Banat 2024

Mitte im Sommer, fast zwei Wochen verbrachte ich im Banat. Langeweile kam nicht auf. Erlebnisreiche Tage begleiteten mich.
Gleich der erste Tag führte mich nach Sanktandres, in den Ort, wo ich meine Kindheit und Jugendzeit verbrachte. Dort traf ich viele bekannte Gesichter. Ich nutzte die Gelegenheit, um den neu und wieder gewählten Bürgermeister Claudiu-Florin Coman zu treffen. Des Weiteren konnte ich ausführliche Gespräche mit dem 2. Bürgermeister des Dorfes, Josef Minnich, führen. Es steht fest: Durch die letzten Wahlen Anfang Juni dieses Jahres haben sich die Machtverhältnisse im Sanktandreser Gemeindehaus deutlich verschoben. Der Gemeinderat wird demnächst neu aufgestellt. Seitens der Rathausbehörde wurde mir eine weitere gute Zusammenarbeit zwischen der aktuellen Gemeindeverwaltung von Sânandrei und der HOG Sanktandres zugesagt. Die Sanktandeser Schule erhält neuen Glanz. Auf dem Dach soll der Natur zuliebe eine Solaranlage angelegt werden (s. Foto) und im Innenraum werden die Klassenräume saniert. Die schulischen Ausstattungen werden auf höchstem Niveau gehalten. Im ehemaligen Pfarrhaus ist seit kürzester Zeit die Polizeidienststelle eingerichtet. Der Polizeichef Varna erzählte mir stolz von dieser vorzeigbaren Einrichtung. Das Dorf verändert sich von Tag zu Tag. Im Ortszentrum steht eine Imbissbude und gleich nebenan tritt eine “Langoşerie” (Langoschbude) zum Vorschein. Den Genuss dieses knusprig gebackenen Teigs sollte man sich nicht entgehen lassen. Auf dem Areal wurden Wassermelonen aus der Umgebung verkauft. Es erinnerte mich an die “Hodonier Melonezeit” in meiner Kindheit.

“Die grüne Klasse” für die Schule
Das neue Polizeipräsidium
Leckerer Langosch in der Dorfmitte
Süße Wassermelonen zum Verkauf


In Sanktandres auf dem Friedhof hatte ich auch die Gelegenheit, mit dem Verantwortlichen einer Baufirma zu sprechen, um die Sanierung der Friedhofskapelle im Innenraum voranzutreiben. Bei 35 Grad Hitze traf ich auch den Mäher des Friedhofareals, der den dritten Mähvorgang in diesem Jahr in Angriff nahm. Trotz großer Hitze im Banat war das Unkraut wieder sehr gewachsen.


Besondere Freude kommt auf, wenn Menschen anderer Nationalitäten sich an uns Banater Schwaben positiv entsinnen und die Zeit vor 50 und 60 Jahren erfreut in Erinnerung rufen. Gemeinsame Erfahrungen der damaligen Zeit – positiv oder vielleicht auch negativ – schweißen uns allerdings in der heutigen Zeit immer mehr zusammen. Stundenlang konnten wir über dies und jenes weitgreifend diskutieren.
Auch die Sanktandreser Geschichte sorgte für viel Gesprächsstoff. Vor 109 Jahren, am Anfang des Ersten Weltkriegs, stationierte Zeppelin der Königlich Sächsische Feldtrupp für Luftschiffe Nr. 14 auf dem Sanktandreser Hottar, vor den Toren Temeswars. In meiner Kindheit erzählte man in dieser Zeit recht viel, übrigens ohne jegliche Dokumentationen. Das neu erschienene Buch des Dresdners Dr. Jörg Biber verändert deutlich die Situation ab dem Jahr 2023. Nun existiert eine Geschichtsvorlage zu dem damaligen Ereignis. Sorin, ein rumänischer History-Liebhaber, besonders wenn es um unsere Dorfgeschichte geht, stöberte mit mir mehrere Stunden in einer trostlosen Gegend, um Überreste dieser Zeppelin-Zeit zu erkunden. Und wir sind fündig geworden. Somit gewinnt der Luftschiffhafen mit dem Tarnnamen Adebar zusätzlich an Reiz. Was den Flugbetrieb anbelangt, wäre Temeswar diesbezüglich Vorreiter auf dem ganzen Balkan. In der Banater Landeshauptstadt bemühte ich mich, Gesprächspartner und Förderer zu finden, die dem geplanten Projekt “110 Jahre Flugbetrieb in Temeswar” zustimmen und unterstützen könnten. Das Ereignis wäre im Rahmen der Heimattage der Banater Deutschen 2025 beabsichtigt aufzuführen.

Auf den Spuren der Zeppelin-Zeit in Andres
Einstiegsmöglichkeit in den Becken
Überreste von Zeppelin-Stationierung
Brunnenruine

In Temeswar traf ich viele bekannte Gesichter. An kühlen Örtchen während der Banater Hitzewelle konnte man immer wieder mit mittlerweile liebgewonnenen Menschen plaudern. Dazu kam noch ein Stammtischabend von Banater Schwaben im Innenhof des Hotels “Iosifin Residence” auf dem Alexandru Mocioni-Platz Nummer 8 zustande. Mehr als 20 Landsleute von hüben wie drüben versammelten sich bei dem Banater Wirt Helmut. An Informationsaustausch fehlte es an diesem Sommerabend sicherlich nicht, schließlich und endlich war man unter sich.

Am Sonntag begab ich mich zum deutschen Gottesdienst zum Hohen Dom. Der Pfarrer betonte die Bedeutung der Großeltern, deren Tag an jenem Sonntag gewürdigt wurde. Ein Schluck Wasser vom Brunnen am Domplatz tat mir an diesem herrlichen Sonntagmorgen allemal gut.

Der Temeswarer Dom

Im Hotel traf ich ganz überraschend Frau Dr. Petra Loibl, die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene. Begeistert erzählte sie mir ihren Tagesablauf in Billed und Temeswar. Anscheinend ist sie von unserem Banat sehr beeindruckt.

Hotel Timişoara im Zentrum der Stadt

In der Bega-Stadt vergeht jedes Mal die Zeit meines Aufenthalts viel zu schnell. Ich besuchte das Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus, das für die noch Deutschlebenden nicht wegzudenken ist. Da gibt es das Demokratische Banater Deutsche Forum, das Seniorenheim, die Guttenbrunn-Stiftung und eine Anlaufstelle der Banater Landsmannschaft. Hier eingetroffen, fühlt man sich daheim.

Das AMG-Haus


Jedes Mal spannend wird es im Diözesanarchiv im Temeswarer Bistum. Meine Partnerin Juliane und ich stöberten in der Sanktandreser Ablage. Der emeritierte Bischof Martin Roos, gebürtiger Kneeser, trat in den Raum. Wir fanden sofort zu einem netten Gespräch. Danke an Dr. Claudiu Călin, der uns das Sanktandreser archivierte Material wie immer bereitwillig zur Verfügung stellte.

Kulturell ist in Temeswar einiges geboten, auch nach dem Kulturhauptstadtjahr 2023. Anlässlich der Temeswarer Tage führte das Bukarester Operettentheater am 1. August den “Zigeunerbaron” von Johann Strauss auf. Die Handlung des Stückes spielt sich im Temeswarer Randviertel Mehala ab. Am nächsten Tag stand “Meşterul Manole” auf dem Programm. Eine Rockoper, komponiert von Josef Kappl, der in Temeswar das Konservatorium absolvierte.
Also zwei Schmanckerl an zwei Tagen, aufgeführt im Rosenpark der Stadt.

“Der Zigeunerbaron” (Ausschnitt)
“Der Meister (Meşterul) Manole”

Bilder vom beeindruckenden Temeswar:

Temeswarer Rathaus
Straße überdacht mit Schirmen
Lichterstraße
Ambiente Freiheitsplatz am Abend im Sommer 2024

Einen Tag weilte ich bei einer rumänischen befreundeten Familie auf dem Land in Bencecu de Jos. Das Dorf ist in Bruckenau eingemeindet. Idyllisch ist es hier. Hier lebt man wie vor 50 Jahren: Eigenes Vieh (Hühner und Schweine), der Hund Rocky wedelt froh und frei im Hof. Selbst angebautes Gemüse, an den Bäumen schwerhängendes, von Pfählen gestütztes Obst und ein reich gedecktes traditionelles Menü zeichnen das heutige Dorfleben im Banat aus.
Ein kleiner Umweg durch Bruckenau, durch seine Heckenlandschaft gezeichnet, war angedacht und von köstlichem Wert. Die Quelle mit dem schmackhaften und erfrischenden Wasser am Straßenrand sprudelt immer noch.

Drei große banatschwäbische Feste waren im Zeitraum meines Aufenthalts im Banat angesagt. In Perjamosch und in Guttenbrunn feierte man an den Wochenenden 300 Jahre seit der Ansiedlung der Banater Schwaben, während in Lowrin ein großes Kirchweihfest zur Austragung kam.

Die HOG Perjamosch (Vorstandsvorsitzender: Anton Enderle) und die Gemeindeverwaltung (Bürgermeister: C. Dumitras) organisierten zum 300jährigen Jubiläum ein wunderschönes Fest. In der Ortsmitte wurde ein sehenswertes Denkmal nach einer Idee und der Interpretation von Walter Niklos enthüllt, das auf die Geschichte des Dorfes hindeutet. Viel Prominenz war zugegen. Trachtenpaare schwenkten ein paar schöne Volkstänze. Dann ging es in das Kulturhaus, wo die Anwesenden köstlich bewirtet wurden. Am späten Nachmittag fand in der Haulik-Kirche ein Gottesdienst statt. Hier wirkte von 1942 bis 1955 der Sanktandreser Geistliche Karl Stefan Ritter als Kaplan, dessen Grabstätte auf dem Sanktandreser Friedhof zu finden ist. Sehr, sehr interessant ist das kostenlos vertriebene Buch “Perjamosch 1724-2024” von Sigrid Kuhn, das einen Tag zuvor vorgestellt wurde. Dem Autor und Journalisten Werner Kremm, der mir das Buch empfohlen hat und es mir ohne zu zögern in die Hand drückte, vielen herzlichen Dank.

Begrüßung der Gäste am Denkmal
Denkmalaufschrift
Tanzreigen
Das Buch mit Perjamoscher Geschichte

Am anderen Wochenende meines Banat-Aufenthalts stand ganz Guttenbrunn (Zăbran) kopf. Auch hier gedachte man der Ansiedlung der Deutschen im Jahr 1724. Der Festgottesdienst in der Guttenbrunner Kirche hatte es in sich. Das Aufführungsmaterial der Missa brevis in C, komponiert für Chor, Soli, Orgel und Orchester von Vincens Maschek (geboren 1800 in Böhmen und gestorben 1875 in Temeswar) wurde 2022 auf dem Dachboden der Ortskirche entdeckt. Es stammt aus dem Jahre 1845 und wurde von Kantorlehrer Jakob Geisz abgeschrieben. Im Jahr 2023 wurde diese Messe von dem Neusentescher Musiker Andreas Schein vervollständigt und im Verlag Edition Musik Südost in München herausgebracht. Am Ortsrand steht die Wendeliner Kapelle, die saniert und festlich zu diesem 300-Jubiläum eingeweiht wurde. Im Fußballstadion von Guttenbrunn konnten die HOG-Vorsitzende Hiltrud Leber und der Guttenbrunner Ortsvorsteher zahlreiche Ehrengäste und viele Teilnehmer von nah und fern begrüßen. Mit der Banater Blasmusik aus Temeswar, mit einer Tanzgruppe unter der Leitung von Edith Singer und mit Speis und Trank wurde ausgiebig gefeiert.

Festgottesdienst
Einweihung der sanierten Wendelin-Kapelle am Guttenbrunner Ortsrand
An die Teilnehmer
Bürgermeister Toader,
Konsulin Regina Lochner und
Hiltrud Leber (HOG)
Banatschwäbischer Volkstanz

Das Fest der Lowriner überschnitt sich mit der Feier der Guttenbrunner. Schade. Die Lowriner feierten Kerweih.

Zirka 100 Trachtenträger, ehemalige und heutige Lowriner, aber auch die Mitglieder der Tanzgruppen Banater Kranz, Banat-Ja-Arad und Sanktanna, Hatzfelder Pipatsche, Billeder Heiderose und Vergissmeinnicht Busiasch waren dabei, als die Lowriner ihr Kirchweihfest feierten.
Das 240. Jubiläum seit der Ansiedlung durch Deutsche, die Wiedergründung des deutschen Ortsforums und die Wahl eines neuen HOG-Vorstandes veranlassten die Lowriner zur Abhaltung dieses beliebten Traditionsfestes (Video: Remo Neusatz).

Es kam die Zeit, die Heimreise anzutreten und von einer schönen Zeit im Banat Abschied zu nehmen. Was nimmt man wohl als kleines Souvenier mit? Es sind Dinge, die in der Banater Region einmalig sind.
Am Sonntagmorgen zielten wir in Richtung Landesgrenze. In der Gemeinde Lowrin war ein großangelegter Markt aufgebaut. Dort kauften Juliane und ich Caş (frischer Schafskäse) ein. Die Bauern boten frisches Obst und Gemüse aus der Banater Heide an. Der “Gogoşari” (Tomatenpaprika) war nicht zu übersehen. Zuckersüße Wassermelonen in Hülle und Fülle. Und in dem kleinen Brotladen am Straßenrand rochen erstklassig die köstlichen Backwaren, wie das warme, frische Weißbrot, Moon- und Kirschstrudel und nicht zuletzt die “Plăcintă cu brânză” und die “Brânzoicas” (Käsekuchen-Spezialitäten).
Daheim bei Verwandten und Bekannten all das serviert, ließ mich bereits jetzt schon auf eine nächste Banat-Reise hoffen und eifern.

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