Lebenserinnerungen von Banater Schwaben


Stimmen von Banater Schwaben betitelt sich das im Herbst 2023 erschiene Buch in Helsinki nach narratologischen Studien zur deutschen Minderheit im Banat in den 1990er Jahren.
Der schwedisch-finnische Ethnologe Prof. Dr.em. Bo Hjalmar Lönnqvist, ein in Finnland geborener und dort lebender Schwede hat zusammen mit dem ungarischen Ethnologen Gábor Barna (Universität Szegedin) sowie weiteren Wissenschaftlern und Studenten im Zeitraum 1997 bis 2000 die Erinnerungs- und Erzählkultur sowie speziell die Erzählstrukturen der Deutschen im Banat untersucht. Institutionell war die Feldforschung eine Zusammenarbeit zwischen dem Ethnologischen Institut der Universität Jyväskylä, Finnland, und dem Lehrstuhl für Volkskunde, Néprajzi Tanszék, an der Jószef-Attila-Universität in Szeged, Ungarn.
 „Die Studie steht theoretisch in einem kulturanthropologisch-ethnologisch-folkloristischen Kontext. Der Schwerpunkt der Thematik heißt Narratologie: die Erinnerungs- und Erzählkultur, das Redensmuster und die Struktur des Erzählens.“ „Zentrale Fragestellungen beziehen sich auf Heimat und Sprache, Selbst- und Fremdbild, sowie Reflexionen über den Lebenslauf und Veränderungen in Zeit und Raum“, so der Autor des Buches Bo Lönnqvist. Von den 46 angetroffenen Informanten haben 36 ihre lebensgeschichtlichen Erzählungen in 13 ehemals vorwiegend deutschsprachigen Dörfern zwischen dem Fluss Marosch und der Landeshauptstadt des Banats Temeswar (u. a. Radna, Neuarad, Lippa, Blumenthal, Königshof, Schöndorf, Guttenbrunn, Engelsbrunn, Bruckenau, Neudorf, Glogowatz, Neupanat) – also in der Banater Heckenlandschaft – dem Forschungsteam anvertraut. Das Material beinhaltet auch etwa 1.200 Fotos. Der finnischen Gruppe gehörten neben dem Verfasser der Historiker Anssi Halmesvirta, der Philologe Petteri Laihonen sowie die Ethnologen Pasi Hannonen und Pirkko Järvelä an. In der ungarischen Gruppe waren unter Prof. Gábor Barnas Leitung Dr. Bertalan Pusztai und etwa zehn Studenten tätig. Diese Studie wurde 2023 von der „Finnish Society of Sciences and Letters“ in Helsinki veröffentlicht und hat nichts von ihrer Aktualität verloren, obwohl so viele Jahre seit damals verstrichen sind.

Karte von der historischen Landschaft Banat. Der Kreis Arad
und die Dörfer der ethnologischen Feldforschung 1997-2000.
Bertalan Pusztai & Olivér Kriska, Szeged

Sieben Kapitel umrahmen den Inhalt des Buches:
Das erste Kapitel läuft unter dem Titel Das Feld öffnet sich – Historischer Auftakt, u. a. mit der Fragenstellung von einer verlorenen Heimat sowie individuelle Erinnerungen und Erfahrungen. Eine Bewusstseinsanalyse des Erzählens.
Kapitel 2: Schlüsselinformanten in Lippa – Selbstreflexion und Selbstthematisierung. U. a. werden hier die Tatsachen wie Familie – Schule und Sprache – Ethnische Unterschiede, Religion und Schule – Sprache und Wurzeln – Exodus – Deutsches Leben heute – Ende des Nonnenklosters – Pilgerfahrt – Trachten – Kirchweih – Sprachgebrauch, Familienverhältnisse, Schicksal einer Volksgruppe – Bräuche – Zusammengehörigkeit – Andere Volksgruppen – Früher und heute – Untergang, Auswanderung usw. aufgegriffen.
Kapitel 3: Das Erbe der Vergangenheit. Die Erinnerung in der verlorenen Landschaft.
Kapitel 4:  Die letzten Mohikaner. Das Mosaik des Heimatgefühls.
Kapitel 5: Guttenbrunn und Schöndorf – zwei „echt deutsche“ Dörfer. Muster des Redens – Formen der Erzählung.
Kapitel 6: Das Lied am Ende – Perspektiven von vier Informanten. Die letzte Generation von Bruckenau, der letzte Dekan im Dorf Glogowatz, die letzte deutsche Lehrerin in Lippa sowie das Verschwinden der deutschen Kultur im Banat finden in diesem Kapitel eine gewisse Wachsamkeit.
Das letzte Kapitel (7) betitelt sich Stimmen von Banater Schwaben – Hermeneutische Perspektiven in einer Heimatlandschaft und thematisiert zum Beispiel die Einfühlung in der Feldforschung, die entstehende Erzählkultur, eine Jagd nach Authentizität: die Selbstreflexion, die Einfühlung und Gefühle – Identität des Erzählens, eine narrative Kompetenz und ein Epilog.

Im Epilog kommt die Satzreihe Das Vorspiel – Der traurige Abschied – Das fremde Deutschland – Die Heimatortsbewegung – Das Dokumentationsstadium – Heimat und Heimweh zum Ausdruck. Dabei wird von dem Faktum „Eine abgeschlossene Sache“ berichtet. Im Jahr 2000 hatte der Verfasser des Buches in Karlsruhe die Gelegenheit, mit zwei Banater Schwaben ins Gespräch zu kommen, die Ende der 1970er und Anfang der 1980er-Jahre aus dem Banat emigriert waren: Anna Pfeifauf aus dem Dorf Königshof und Richard Jäger aus der Banater Ortschaft Neupanat. Als aktive Heimatforscher und Akteure auch in den Heimatortsgemeinschaften konnten sie viele Informationen zu Ursachen und Folgen hinsichtlich des Lebens der Banater Schwaben vor und nach der Emigration übermitteln. Der heutige Landesvorsitzende des Landesverbandes der Banater Schwaben von Baden-Württemberg Richard Jäger berichtete in jener Zeit vom letzten Tag seiner Abreise aus Neupanat. Nachdem der finnische Forscher sich bei R. Jäger nach dem Ablauf seines Umzugs nach Deutschland und nach seinen Erlebnissen der Ankunft in Deutschland erkundigte, gab der Befragte eine detaillierte Auskunft. Auch die Heimatortsbewegung hierzulande stand im Fokus des Gespräches. Heimat und Heimweh und der emotionale Aspekt wurden bei diesem Interview nicht außer Acht gelassen.
Zum Schluss stellt der Verfasser des Buches eine Frage: Wie lange kann diese Heimat in der Diaspora existieren? Die Antwort: „Bis ins Grab. – So lange wir leben.“

(Autor Bo Lönnqvist mit Richard Jäger im August 2023 in Helsinki. Foto: privat)

Bo Lönnqvist: „Stimmen von Banater Schwaben“. Narratologische Studien zur deutschen Minderheit im rumänischen Banat in den 1990er Jahren; Reihe „Commentationes Scientarum Socialium“ Nr. 82, herausgegeben von „The Finnish Society of Sciences and Letters“, Helsinki 2023, ISBN 978-951-653-502-2 (print); ISBN 978-951-653-503-9 (online); ISSN 0355-256x (print); ISSN 2737-1751 (online); https://doi.org/10.54572/ ssc.754 (doi), 356 Seiten.    

Vielleicht bewegt dieses Buch so manchen Vertreter von Banater Heimatortsgemeinschaften, den einen oder anderen Zeitzeuge zu Themen unserer Geschichte zu befragen und die Antworten schriftlich oder akustisch festzuhalten.

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