„Die Kälte des Herbstes wärmt das Herz“ – sagt man. Vom 16. bis 17. November 2024 öffnete sich ein Herz für eine Schicksalsgemeinschaft, nämlich für eine Volksgruppe im südöstlichen Europa:
DIE DONAUSCHWABEN.
Für die Donauschwaben war das Jahr 1944 eine Zeitenwende. Flucht und Vertreibung und ein gewagter Neubeginn standen zu diesem Zeitpunkt im Anmarsch. Seitdem sind 80 Jahre verstrichen. Der Donauschwaben-Bundesverband lud zu einer Gedenkveranstaltung ins Sindelfinger Haus der Donauschwaben ein.
Bereits einen Tag zuvor organisierte der Landesverband Baden-Württemberg der Banater Schwaben eine Kulturveranstaltung besonderer Art. Auch hier standen das Leben und Wirken der Donauschwaben im Mittelpunkt.
Kulturtagung 2024 on tour
Im Haus der Donauschwaben Sindelfingen
Am 16. und 17. November fand mittlerweile die 59. Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg statt. Das diesjährige Thema stand unter dem Motto “Kulturtagung on tour”. Das heißt, der Verband lädt die Referenten nicht ein, sondern die Teilnehmer reisen zu den Einrichtungen mit donauschwäbischer Forschung, wo die Vortragenden vor Ort dann referieren. Bereits im Frühjahr dieses Jahres hat der Landesvorstand den Entschluss gefasst, diese Idee einer reisenden Kulturveranstaltung zu praktizieren.
Kurz nach Mittag, an einem vernebelten Herbstwochenende, begaben sich die Teilnehmenden, aus Stuttgart kommend, zum Haus der Donauschwaben nach Sindelfingen – in das Haus, das 1970 seine Pforte öffnete, sich in den letzten Jahren renovierungsbedürftig zeigte und nun wieder in einem neuen Glanz dasteht. Es ist ein Schmuckstück der Donauschwaben. Hier können die Donauschwaben aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Rumänien und aus Ungarn sich voll und ganz entfalten. Die Tagungsgäste konnten gleich zu Beginn diese Tatsache gewichten. Der Vorsitzende des Landesverbandes Richard Jäger begrüßte die Anwesenden. Kulturreferent des Verbandes Hans Vastag erläuterte den Programmablauf.
Frau Dr. Danica Trifunjagic, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Haus, führte durch die neugestalteten Räumlichkeiten des Donauschwabenhauses. Um wessen Geschichte es im Haus geht, ist an der Namensvergebung dieser Räume erkennbar. Zum Beispiel sagen das Zimmer “Slawonien”, der Geschichtsraum “Syrmenien” oder der Saal “Banat” aus, was hier zu erkunden ist. Die Geschichte dieser Regionen sind auf Wandtafeln beschrieben. Auch eine gut aufgestellte Bibliothek kann donauschwäbische Interessen befriedigen. Die interessierten Personen blätterten in unterschiedlichen Publikationen. Der Gedenkort “Den Toten und Umgekommenen der Heimatgemeinden und Familien” im Innenhof des Donauschwabenhauses veranschaulicht unübersehbar den Leidensweg der Donauschwaben nach 1944.
Im Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde
Nach einem kleinen Imbiss und einem warmen Kaffee reisten die Tagungsteilnehmer in das 40 Kilometer entfernte Tübingen. Tübingen ist eine Universitätsstadt. Und hier ist seit 1987 das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IDGL) ansässig. Dieses Institut ist eine national und international anerkannte Forschungseinrichtung. Die Aufgabe dieses Instituts ist es, die Geschichte, Landeskunde und Dialekte der deutschen Siedlungsgebiete in Südosteuropa sowie die zeitgeschichtlichen Fragen von Flucht, Vertreibung und Eingliederung der deutschen Heimatvertriebenen zu erforschen und zu dokumentieren. Hier werden zu dieser Thematik Lehrveranstaltungen gefördert, wissenschaftliche Tagungen abgehalten und zahlreiche Publikationen veröffentlicht. Ausstellungen – auch virtuell – finden national und international einen großen Anklang. Über all dies unterrichteten Prof. Dr. Reinhard Johler und sein Team das angereiste Publikum. Sodann begab sich eine Gruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in das Archiv des Instituts, während die andere Gruppe die Bibliothek der Einrichtung besichtigte. Für mich war der Archivraum ein Schmuckstück meiner Erkundung. Hier fand ich den Nachlass des Sanktandreser Banat-Forschers Heinrich Lay vor. Dr. Cristian Cercel mit den Forschungsschwerpunkten u. a. Minderheitengeschichte und Identitätspolitik im Institut schilderte den Ablauf seiner Arbeit in diesem Aufbewahrungsraum. Hier kommt es auch zu einer Bewertung der angelieferten Nachlässe. In der Bibliothek zeigte Prof. Dr. Márta Fata die Schätze der Bücherei, die auch in digitaler Form abrufbar sind. Es lohnt sich allemal, einige Stunden im Institut zu verbringen, um sich in den Schatztruhen der Tübinger Einrichtung weitgehende Einblicke zu verschaffen. Vor dem Verlassen des Instituts, bat Prof. Dr. Johler im Hof ein gemeinsames Foto zu schießen, bevor die Dunkelheit einbricht.
Im Haus der Heimat Stuttgart
Die Endstation des ersten Tages war das Haus der Heimat in Stuttgart. Nach dem Abendessen trat Dr. Franz Metz, Organist, Musikforscher und Dirigent, mit seinem Lehár-Ensemble auf. Es ist mittlerweile zur Tradition geworden, dass diese Künstlergruppe bei den Kulturtagungen des Landesverbandes klassische Musik vom Feinsten darbietet.
In den Heimatstuben Göppingen
Die Banater Heimatstuben in Göppingen in der Schlossstraße 14 im sogenannten “Alten Kaste” vermittelt den Besuchern einen Einblick in das Leben der Banater Schwaben im Banat. Die Stuben wurden im Jahr 1983 ins Leben gerufen. Sie werden zurzeit von Frau Theresia Teichert geleitet, die auch durch die Räumlichkeiten führte. Anwesend waren auch Dr. Swantje Volkmann, Kulturreferentin für Südosteuropa an der Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm, und Walter Tonta, ehemaliger Redakteur der Banater Post, der nun das Kultur- und Dokumentationszentrum in Ulm leitet. Der neue Vorsitzende des Kreisverbands Göppingen, Herbert Wild, zeigte mit voller Freude, was die Banater Heimatstuben mit einer Trachtenausstellung und viel Dokumentationsmaterial anzubieten hat. Frau Dr. Volkmann gab Auskunft.
Die diesjährige Kulturtagung hinterließ bestimmt bei vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen guten Eindruck. Eine Tagung, die etwas anders gestaltet war als die vorherigen. Kreativität ist immer gefragt.
Gedenkveranstaltung “80 Jahre Flucht, Vertreibung, Neubeginn“
Am Volkstrauertag des Jahres 2024 mobilisierte die Landsmannschaft der Donauschwaben eine große Anzahl von Personen, die sich am Sonntagvormittag um 10 Uhr im Haus der Donauschwaben einfanden. Im frisch renovierten und vollbesetzten Saal Banat nahmen Menschen Platz, die großes Interesse für die Geschichte der Donauschwaben bekundeten. Vertreter von Landsmannschaften (Bund-, Kreisverbände und Heimatortsgemeinschaften) sowie der Vorsitzende und Leiter des Hauses, Raimund Haser (MdL), waren zugegen. Unter Fanfarenklängen zogen die Fahnenträger ein. Auch Kreuze von Ortschaften als Symbol von Opfern in der schrecklichen Nachkriegszeit in der Batschka fanden eine ehrenwerte Stelle.
Jürgen Harich, Präsident des Dachverbandes und Bundesvorsitzender der Donauschwaben, begrüßte zunächst die zahlreich erschienenen Gäste. Für ihn waren die Zeitzeugen die herausragenden Ehrengäste. U. a. waren auch Prof. Dr. Johler, Dr. habil. Mathias Beer, Dr. Daniela Simon (alle IdGL Tübingen) sowie Christine Neu, Stellvertretende Vorsitzende des Bundesvorstandes der Landsmannschaft der Banater Schwaben seitens der Banater Schwaben anwesend. Jürgen Harich leitete mit einer eigenen Lebensgeschichte, geprägt von schweren Zeiten seiner Großeltern, die Veranstaltung ein.
Anschließend ergriff Raimund Haser das Wort. Für ihn waren zunächst die fast abgeschlossenen Sanierungen des Hauses von großer Bedeutung. Er lobte dabei die gute Zusammenarbeit des Vereines mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Sindelfingen. Die finanziellen Mittel des Landes und der Kommune sind nicht zu verschweigen.
Dr. habil. Mathias Beer hielt einen ausführlichen Vortrag zum Thema “1944 – eine Zeitenwende der donauschwäbischen Geschichte”. In fünf aufgestellten Punkten erläuterte der Referent folgende Schicksalsreihe: 1. Traumatische Erfahrungen, 2. Ansiedlung, 3. Gruppenbildung, 4. Zwangsmigration und 5. Fazit.
Im Innenhof wurde vor der Tafel mit der aufgeführten Opferzahl und den namentlich eingravierten Gemeinden ein Kranz niedergelegt. Ein junges Bläsertrio verlieh der Trauerfeier ein ehrenwürdiges Gedenken. Raimund Haser (MdL) erinnerte an die Kriegsopfer und verdammte den Krieg, der leider wieder in Europa aufgeflammt ist.
Ein ökumenischer Gottesdienst Feierstunde “80 Jahre Flucht und Vertreibung” stand als nächster Punkt auf dem Programm. Der Chor der Donauschwaben Mosbach umrahmte den Festgottesdienst.
Am Nachmittag berichteten vier Zeitzeugen von ihrem Leidensweg. Als Kinder erlebten sie Hunger, Not, Folterung und Vergewaltigungen ihrer Verwandten, Flucht und Vertreibung. In friedlichen Zeiten scheint das Verhältnis zur serbischen Bevölkerung nicht schlecht gewesen zu sein. Die Partisanen rotteten mit Hilfe von Vernichtungslagern und Vertreibung die Donauschwaben in Serbien aus. Erstaunlicherweise versuchen heute die damaligen (Noch)Kinder trotzdem, Kontakt mit der heutigen sogenannten Heimat zu knüpfen, obwohl viele Hindernisse diesen Weg versperren. Teilweise können sie aber doch von Erfolgserlebnissen berichten. Es fehlt anscheinend der politische Wille, die Beziehung auf hoher Ebene voranzutreiben. Irgendwie scheint es so, als lasse man sie diesbezüglich im Stich, so die Zeitzeugen.
Kulturmäßig fand die Veranstaltung ihren Ausklang. Vier Trachtengruppen, die aus Speyer, Ulm, Mosbach und Reutlingen kamen, begeisterten das Publikum mit Trachten und Tänzen der Donauschwaben, die wiederum in der Batschka, im rumänischen Banat und Ungarn getanzt wurden oder auch noch getanzt werden. Zuschauerinnen und Zuschauer genossen den Nachmittag.
Die Theatergruppe Meine Leute machte den Abschluss zur Gedenkveranstaltung. Die Donau fließt ins östliche Europa. Deutsche Siedler aus dem Westen ließen sich im Osten nieder. Nach einem blühenden Aufschwung in den Donauländern folgten Demütigung und Vertreibung. Und die Nachkommen dieser Ausgewanderten kehrten mit einem Koffer wieder zurück in das Land ihrer Vorfahren… und die Donau schaut zu. Eine Schicksalsgeschichte zum Thema “Heimatvertriebene – Gegen das Vergessen” auf der Bühne im Donauschwabenhaus.
Immer wieder wurden Gedichte eingebaut, vorgetragen von Joana Maranca und Stefan Teppert, die das Schicksal der Donauschwaben versinnbildlichten. Die Donauschwaben werden als Schicksalsgemeinschaft eingestuft. Diese Einordnung beruht sicherlich auf zugefügtem und getragenem Leid nach einem schrecklichen Krieg.
Der Toten wollen wir gedenken,
hier, fern vom alten Heimatort.
Gott möge allen Frieden schenken,
die Zeit nimmt Leid und Tränen fort.
Wir trauern heut’ um unsere Lieben,
sie wurden Opfer der Gewalt.
Die Zahl, die hier auf Stein geschrieben,
sei stille Mahnung an die Welt.
Unsagbar haben sie gelitten:
Vertreibung, Hunger, Krankheit, Not.
Es gab nur Stroh, statt warme Betten,
nur harte Arbeit und kein Brot.
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Sie sollen nicht vergessen werden!
Den Nachkommen kann ein Stein,
wo immer sie auch sind auf Erden,
ein Stück verlorener Heimat sein.
Wilma Filip-Laub
Wie ergreifend: Am Ende dieser großartigen Gedenkfeier hieß es in einem Gedicht: “… man hat uns betrogen…” Was auch immer man darüber denken mag.