Versöhnungswunsch ist weiterhin gefragt

Austausch im Stuttgarter Landtag

80 Jahre nach Flucht und Vertreibung und wie aus Vertreibung Versöhnung wurde


Die Gebäude des Landtags von Baden-Württemberg sind das im oberen Schlossgarten gelegene quadratische Haus des Landtags von 1961 und das jenseits der Konrad-Adenauer-Straße liegende 1987 eingeweihte Haus der Abgeordneten.

Der Bund der Vertriebenen und der Landtag von Baden-Württemberg luden für den 3. Juni 2025 zu einer Veranstaltung 80 Jahre nach Flucht und Vertreibung – Wie aus Vertreibung Versöhnung wurde.
Zahlreiche Vertreter aus den Landsmannschaften und anderen Institutionen, die mit diesem Thema kontaktiert sind, haben sich in Landtag im Stuttgart eingefunden.
Auf der Agenda standen eine Begrüßung der Landtagspräsidentin, ein Grußwort seitens des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, Gesprächsrunden und musikalische Intermezzi.


Die Präsidentin des Landtages, Muhterem Aras: “Wir knüpfen viele Aspekte unserer Identität an unsere Heimat – etwa Kultur und Tradition, Sprache und Familie. Heimat ist eine sehr persönliche und emotionale Bindung – vor allem, wenn wir sie verlieren. Eine neue Heimat zu finden ist dann ein großartiges Geschenk, auch wenn die Erinnerung an das Verlorene die Gegenwart mitprägt.”

Frau Aras zitierte mehrmals den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur als einen Befreiungsschlag vom Nationalsozialismus sah, sondern auch die Legitimierung der Gewalt von Millionen von Menschen bedauerte. Sie wies auf die Charta der Vertriebenen hin, die ein Zeichen zur Versöhnung setzte.


Das Grußwort sprach der Präsident vom Bund der Vertriebenen, Prof. Dr. Bernd Fabritius. Er unterstrich in seiner Rede, dass Vertreibung eindeutig Unrecht bleibt. Die Charta der Vertriebenen von 1950, die in Stuttgart unterzeichnet wurde, beharrt auf Versöhnung zwischen den Völkern und verzichtet auf Rache. Es ist ein europäischer Gedanke, der sich noch immer im Aufbau befindet. In Ungarn und in Rumänien sind Voraussetzungen für ein Miteinander und Versöhnung bereits geschaffen worden. Andere Länder sollten diesem europäischen Leitgedanken folgen. Vor einer Woche fand in Brünn, an der tschechisch-österreichischen Grenze, der mittlerweile traditionelle Todesmarsch statt. Viele junge Menschen beteiligten sich an diesem Gedenkmarsch der Erinnerung.
Dr. Fabritius beendete seine Ansprache mit einer sehr gezielten Wegweisung: “Die Zukunft ist, was vor uns liegt, nicht die Vergangenheit.”

Zwei Gesprächsrunden, Moderation Raimund Haser (Mitglied des Landtages und stellvertretener Landesvorsitzender BdV), standen auf dem Programm.
Der ersten Runde wohnte die Erlebnisgeneration bei. Unter dem Titel Erinnerung – Fluchterfahrung – Neuanfang berichteten Anna Kreidl, Franz Longin und Irma Barraud. Frau Kreidl schilderte die Flucht ihrer zerissenen Familie aus Ungarn in den Westen. Ihre Aufnahme auf einem Bauernhof in Franken war von einem humanischen Entgegenkommen geprägt. Frau Barraud, damals gerade mal acht Lenze erlebt, erzählte von einem Empfang in der neuen Heimat, der ihr als kleines Mädchen erdrückend schien. In der Schule, beim Spielen gehörte sie in eine andere Menschenklasse. Sie heiratete einen Franzosen und wurde in dessen Familie vorbildlich aufgenommen.
In der zweiten Runde stellte sich die Enkelgeneration den Fragen des Moderators. Susanne Benda, Katharina Martin-Virolainen und Heike Schuster kamen als Gäste dieser Generation in den Landtag. Man solle die schreckliche Vergangenheit nicht unterdrücken, meinten alle drei Teilnehmerinnen. Die Journalistin Benda beklagte das ständige Schweigen ihres Vaters, der plötzlich verstarb und eine gewisse Wissenslücke seiner Tochter hinterließ. Sie recherchierte im Nachhinein und schrieb sogar ein Buch über die Zeit der Vertreibung. Katharina Martin-Virolainen berichtete von den zahlreichen Deportationen in der Geschichte der Russlanddeutschen. Sie appellierte an das Publikum, die Geschichte ja nicht zu ignorieren. Das Erzählen von Ereignissen kann die junge Generation auf einen richtigen Weg verleiten. Die Tänzerin Heike Schuster, deren Wurzeln in Siebenbürgen liegen, führte einen Tanz vor, der die Zeit der Deportation in den Fokus stellt.
Helena Goldt (Gesang) und Vassily Dück (Akkordeon) untermalten die geschichtliche und informativen Beiträge mit Liedern, die zum Teil das Publikum zum Mitsingen anregte.

Erlebnisgeneration (von links nach rechts):
Moderator: Raimund Haser,
Irma Barraud, Anna Kreidl, Franz Longin.
Enkelgeneration (von links nach rechts):
Moderation: Raimund Haser,
H. Schuster, K. Martin-Virolainen, S. Benda
Ein Auftritt der Künstlerin Helena Goldt und des Künstlers Vassily Dück während der Veranstaltung


Der Landesvorsitzende BdV, Hartmut Liebscher, übernahm nach einer sehr gelungenen Veranstaltung das Schlusswort. Er bedankte sich bei allen Gästen, die zum Gelingen des Abends beitrugen, sowie bei dem gut zuhörenden Publikum. Unter den Anwesenden war der Vorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Baden-Württemberg, Richard Jäger. Weitere Banater Schwaben kamen u. a. aus Mannheim, Rastadt, Göppingen, Wendlingen, Karlsruhe, Sindelfingen, Stuttgart usw.

Fotos: J. Janzer

Die Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) lud im Anschluss die Gäste zu einem Stehempfang, bei dem diese sich ausgiebig austauschen konnten.

Schreiben Sie einen Kommentar

− 1 = 1