Totengedenken in Karlsruhe

Allerheiligen 2024 am Billeder Denkmal

Der Feiertag Allerheiligen ist ein Hochfest im römisch-katholischen Kirchenjahr zu Ehren aller Heiligen. Schon seit dem 9. Jahrhundert feiern katholische Christen jedes Jahr am 1. November Allerheiligen. Allerheiligen und Allerseelen sind aufgrund ihres Charakters als Totengedenktage eng miteinander verbunden. Die beiden Feiertage bilden seit der Einführung des Allerseelentages im 10. Jahrhundert ein Doppelfest mit zahlreichen Bräuchen.

Am Billeder Gedenkstein versammeln sich jährlich Billeder Landsleute und aber auch andere Menschen, die einen Bezug zu den Banatern haben.

Im Jahr 1987 ließ der Kreisverband im Badischen Karlsruhe einen Gedenkstein erbauen. Er gilt vor allem den Billedern.

Dem Totengedenken schenkte man nicht nur im Banat seit eh und je große Bedeutung zu, sondern auch in Deutschland ist dieser Brauch in den Reihen aller Katholiken sehr wichtig. Viele Denkmäler der Vertriebenen stehen auf den deutschen Friedhöfen. Einige Kreis- und Heimatsortsverbände der Banater Schwaben errichteten Monumente auf zahlreichen Friedhöfen in Deutschland, um an ihre Toten im Banat und in Deutschland eigenständig zu gedenken.
Am Billeder Gedenkstein versammeln sich jährlich Billeder Landsleute und aber auch andere Menschen, die einen Bezug zu den Banatern haben.

Mir stand heuer als Vorsitzender einer Banater Heimatortsgemeinschaft die Ehre zu, einer Einladung der Billeder HOG zu folgen und am Gedenken der Toten aller Banater Schwaben von hüben und drüben dabei zu sein, aber auch eine kurze Ansprache an die Anwesenden zu richten.

Die Gedenkfeier 2024
begann mit einem Glockengeläut, das jahrhundertehinweg in dem Heidedorf Billed zu hören war. Sodann sang der Chor der Banater Schwaben Karlsruhe das Lied “Wohin soll ich mich wenden.” Anschließend richtete ich mich an die Anwesenden im Zentralfriedhof von Karlsruhe:

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Banater Landsleute,
liebe Freunde,

der Herbst zeigt allmählich sein Antlitz. Er hat – wie jedes Jahr – uns wieder ereilt. Sie erahnen schon: Die bunten Blätter flimmern im leisen, wehenden Wind über dem Gräbermeer, als würden sie schon ungeduldig auf einen leichten, feinen Frost warten, um sich in einem farbenprächtigen Laubteppich am Boden des Friedhofs zu formen. Und siehe da: Allerheiligen – das christliche Hochfest – macht sich bemerkbar. Das Gedenken an Allerheiligen gilt allen Menschen, die ihr Leben nach dem Glauben des Christentums geführt haben. Morgen weist der Kalender auf Allerseelen hin. Ein Gedenktag für alle Verstorbenen, nicht nur für die Heiligen. Wenn diese beiden Gedenktage weit zurückblickend zum Innehalten ernannt wurden und bereits in der Antike ihre Bedeutung hatten, so sind Allerheiligen und Allerseelen heutzutage nicht mehr getrennt, sondern zu einer kirchlichen Gedenkfeier an die Heiligen und Toten verbunden. Das war in unserer alten Heimat, im Banat so, und auch in unserer neuen Heimat – in unserem neuen Zuhause – hier in Deutschland ist es nun einmal nicht anders.

Es freut mich sehr, dass ich heute als Banater „Schwob“, als Banater Landsmann, hier zu Ihnen sprechen darf. Danke der Heimatgemeinschaft Billed, danke Dir, Werner, für die Einladung. Ich komme aus Sanktandres und bin HOG-Vorsitzender dieses ehemaligen banatschwäbischen Dorfes. Die Banater „Schwowe“ kennen uns alle als Andreser. Deshalb: Am heutigen Feiertag schlummern aus gutem Grund in meinem Gedächtnis häufig Erinnerungen aus dem von hier weit entferntem Banat. Aus Andres eben.

Ob auf der „Heed“ oder in der Hecke, im feuchten Novembernebel von damals, besuchten wir am herbstlich kühlen Abend auf den Friedhöfen des Banats die Gräber unserer Verstorbenen und zündeten dort Grablichter an. Schon im Vorfeld des ersten Novembertages eiferten die Menschen diesem Gedenkfest entgegen. Chrysanthemen unterschiedlichster Art schmückten die Grabstätten. Die Symbolik dieser sogenannten Goldblume steht für ein langes Leben. Am heutigen Tag, hier und jetzt: wahrscheinlich auch für ein ewiges Leben. Damals im Banat war Beton für eine Umrandung und für die Platte des Grabes noch undenkbar. Dieser Baustoff hierfür: Ein Fremdwort. Banater Graberde, vom Unkraut ferngehalten, gepflegt, formten die geradlinigen Grabreihen auf dem Gottesacker. Die Inschriften auf den Grabsteinen waren gut leserlich, denn die Chance des angriffslustigen Mooses auf eine Ausweitung auf dem Stein hielt man einfach für nicht vertretbar. Schöne Kränze zierten die gepflegten Grabsteine. Die kleine Friedhofskapelle putzte man heraus, denn schon am Nachmittag des 1. Novembers bimmelte das Friedhofsglöckchen und lud die ersten Gläubigen zu einer Festmesse ein. Meistens unsere Großeltern waren bei dieser Andacht für unsere Verstorbenen dabei. Am Abend, wenn es schon dunkelte, strömten die Eltern mit ihren Kindern zum breit geöffneten Friedhofstor. Sie zündeten die schmalen, langen, weißen Kerzen an und steckten sie behutsam auf die Gräber der Verwandten und Bekannten, die ihnen zu deren Lebzeiten sehr nahestanden. Die brennende Kerze symbolisiert die Seele, die im dunklen Reich des Todes leuchtet. Das stille Beten an den Grabstätten war ein Reden des Herzens mit dem lieben Gott, aber auch für eine innige Fürbitte gedacht. Links von der Sanktandreser Friedhofskapelle gelegen, ragten Holz- und Marmorkreuze zum Gedenken von gefallenen Helden empor. Auf einem Grab lagen zwei verrostete Helme. Trotz dieses stählernen Kopfschutzes haben die kommunistischen Machthaber im September 1944, also genau vor 80 Jahren, zwei ungarische Soldaten in der Dorfmitte erbarmungslos regelrecht hingerichtet. Hierzu war ein stilles Erinnern aller Bewohner an diesem Tag immer gegeben. So ähnlich dürften alle Banater Landsleute diesen Tag aller Heiligen und aller Verstorbenen erlebt haben. Viele Kriegsopfer sind auch in unseren banatschwäbischen Reihen zu beklagen. Sie ruhen irgendwo in der weiten Fremde. Vielleicht, vielleicht stehen auch da heut‘ Menschen an einer dieser letzten Ruhestätten oder aber auch an einem unübersehbaren Massengrab.    

Sanktandres bildet die Grenze zwischen Heide und Hecke. Unser Heimatfriedhof liegt auf einer leichten Anhöhe. Und an jenem Novemberabend betrachtete man auf dem flachen Hügel ein endloses Lichtermeer und empfand den Anschein eines lodernden Feuers auf Erden. Ein Event, das man zu jener Zeit sehr, sehr emotional wahrnahm. 

In der heutigen Zeit suchen in Sanktandres noch einige deutsche katholische Gläubige an Allerheiligen am Nachmittag vereinzelte Grabstätten auf. Das Friedhofsglöckchen ist schon lange, lange verstummt. Ab und zu segnet der Pfarrer, der manchmal aus Temeswar vorbeischaut, die Gräber, die in massiven, mittlerweile in bröckelnden Betonhüllen verpackt sind. Manche Grabsteine konnten den Witterungsverhältnissen der letzten Jahrzehnte nicht mehr standhalten und liegen gebrochen und verwahrlost am Friedhofboden. Es ist ein heutiger allgemeiner Banater Friedhofsanblick. Andersrum: Schiefe, nicht mehr zuordnungsbare, unleserliche Marmorkreuze vom 18. Jahrhundert stehen immer noch auf dem Totenacker. Und wir wundern uns über die Akzeptanz dieser heutigen, vorzufindenden Situation. Unsere Heimatortsgemeinschaften halten weiterhin entschlossen an diesem Faktum einer jahrhundertalten Friedhofspflege fest. Aber die Erinnerung an die Toten auf den Heimatsfriedhöfen wird bedauerlicherweise bald erloschen sein, denn auch uns wird es bald nicht mehr geben. Unsere Ära geht langsam dem Ende zu. Wir müssen wahrheitsgetreu der Realität in die Augen schauen: Wir sind doch die letzte Generation der dort Geborenen. 

Wir alle werden wahrscheinlich irgendwann auf einem Friedhof in der neuen Heimat – hier in Deutschland – voraussichtlich in Frieden ruhen. Schöne und gepflegte Grabstätten werden vermutlich an uns erinnern und sie werden eine Weile – eine kürzere Zeitspanne von unbestimmter Dauer – auch vorhanden sein. Handgefertigte, winterliche Gestecke werden auf den Gräbern sichtbar sein, um der verstorbenen, geliebten Menschen zu gedenken. Eine Grabkerze mit einer Aufschrift, zum Beispiel „In unseren Herzen lebst Du weiter“, wird auflodern. Und… man wird an das Denkmal der Vertriebenen oder wie hier in Karlsruhe an das Billeder Heimatdenkmal schreiten und für alle Verstorbenen – bekannt oder auch unbekannt – ein tiefgründiges Gebet verrichten. Genauso wie wir es jetzt am heutigen Tag tun. Denn: „Der Tod ist nicht das Ende, nicht die Vergänglichkeit, der Tod ist nur die Wende, ein Beginn der Ewigkeit.“Es ist die Zeitlosigkeit mit Anfang, aber ohne Ende.

Mögen doch alle verstorbenen Angehörigen von hüben wie drüben in Frieden ruhen!

Ich danke Ihnen.

Allerheiligen am Billeder Denkmal in Karlsruhe im Jahr 2024

Gerlinde Gilde (Billed) trug ein Gedicht vor. “Näher mein Gott zu dir” sang der Chor der Banater Schwaben von Karlsruhe im Anschluss. Alfred Herbst las die Billeder Verstorbenen von 2024 vor.

Zu einem gemeinsamen Gebet bat danach Elisabeth Luckhaub. Das schöne Lied “Glocken der Heimat” bildete den Abschluss der Feier.

Werner Gilde,
Billed/Karlsruhe

Der Kreisvorsitzende des Kreisverbandes Karlsruhe und Vorsitzender der HOG Billed, bedankte sich bei den etwa 80 Trauergästen am Billeder Stein auf dem Zentralfriedhof von Karlsruhe.

Zu meinem Erstaunen traf ich eine Gruppe von Sanktandresern, die ebenfalls auf den Karlsruher Friedhof kamen und sich zum Billeder Denkmal begaben. Es war ein kleines Treffen von Banater Schwaben, die die Gelegenheit zu einer banatschwäbischen Gemeinsamkeit an diesem Gedenktag aller Verstorbenen aus der alten und neuen Heimat nutzten.

Fotos: Cornel Gruber-Simionescu und Hans Janzer

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