Die Kriegsfolgen (nach 1945) hinterließen erhebliche Spuren der Zerrissenheit in unserer Andreser Dorfgemeinschaft. Vor allem die Feldenteignung der Bauern und die Industrialisierung, die sich hauptsächlich in der Bereitschaft vieler Sanktandreser zum Pendeln zur Arbeit in die nahe gelegene Großstadt Temeswar abzeichnete, veränderten das Leben hierzulande.
Bereits Ende der 50-er Jahre trennten sich die Zielrichtungen der Bewohner. Drei unterschiedliche Gruppen von Ortsansässigen taten sich auf.
Es gab deutsche Mitbewohner, die sich sehr schnell der neu gegründeten kommunistischen Gesamtheit anpassten, zielstrebige Posten ergatterten und deshalb unter keinem Umstand einer Auswanderung nach Deutschland zustimmten. Die generelle Gleichstellung von Eigentum in einem sozialistischen Aufbau und die Gründung deutscher Schulklassen mit all den aufbauenden Kultur- und Brauchtumsregeln für die deutsche Minderheit verleiteten diese Menschen in eine heimatverbundene Richtung.
Andere Leute ließen es darauf ankommen und wollten abwarten, wie die Lage sich nun entwickeln dürfte, da bereits zu jener Zeit vereinzelt die ersten „Schwowe“ aus dem Banat in den Westen emigrierten.
Es gab dann die dritte Gruppe, die von der ersten Stunde an ihren veränderten Heimatort in der Nachkriegszeit verlassen wollte. Trotz vieler Ungereimtheiten und Unwissenheit nach dem Krieg investierte auch diese Gruppe von Landsleuten in ihre heimatliche Lebensaufgabe. Man erinnere an das An- und Umbauen der elterlichen Häuser und an die beharrliche Pflege der eigenen Obst- und Gemüsegärten, an die Gestaltung der Vorgärten z. B., an das Anlegen von Blumenbeeten vor den Häusern usw.
Die gegenseitigen nachbarschaftlichen Hilfen, auf die die Menschen angewiesen waren, schweißten die Dorfgemeinschaft in großem Maße wieder einheitlich zusammen.
Der irrsinnige Krieg hinterließ jedoch deutlich seine Spuren. Ehemalige Kriegsveteranen, Kriegsgefangene und Verschleppte fanden bereits eine neue Heimat in unterschiedlichen Ländern, sei es in West- oder Ostdeutschland, Österreich oder auch in Amerika. Der Drang einer Familienzusammenführung und der starke Trieb nach Freiheit kristallisierten sich immer mehr unter den Bewohnern hervor.
Die Gruppe von Ausreisewilligen pochte immer intensiver auf den Erhalt von “Rufnummern” aus der Bundesrepublik Deutschland sowie auf Ausreiseformulare zum Verlassen der Rumänischen Volksrepublik.
Anfang der 60-er Jahre ermöglichte der rumänische Staat den Menschen einen diesbezüglichen Antrag zu stellen. Und nicht nur das. Schikanen machten sich breit. Im Hof der Temeswarer Miliz stellten sich die ausreisewilligen Schwaben in den kalten Herbstmonaten am Abend für den Erhalt von vorgedruckten Ausreiseanträgen in streng geformten Reihen an der Verwaltungstür an. Am nächsten Tag öffnete die staatliche Behörde am andren Ende des Gebäudes ihre Pforte. Ein Chaos nahm seinen Lauf und das Ergötzen der machthabenden Milizleute verdeutlichte sich in voller Bosheit. Nicht genug. Kurz darauf informierte man diese Leute mit einem schreibmaschinengeschriebenen und mit einem amtlichen Siegel eines sehr herabgekommenen Schmierzettels über die Abweisung ihrer Anträge.
Die Politik des Machthabers Ceausescu, der im Jahre 1965 sein Amt als Führer der Sozialistischen Republik Rumänien antrat, verriegelte jetzt gezielt die Grenzen zur Freiheit. Das war nicht alles. Erstaunlich und unerwartet “erlaubte” man in der zweiten Hälfte der 70-er Jahre die deutsche Lehrerschaft der deutsch unterrichteten Schulen, das Land zu verlassen. Der Diktator verfolgte eine ganz neue Strategie. Deutsche Politiker wie Hans-Dietrich Genscher als Außenminister und Helmut Schmidt als Bundeskanzler versuchten eine rasche Familienzusammenführung anzusteuern. Ceausescu nutzte diese nun aufgetretene Gelegenheit und verkaufte regelrecht die sich nach Freiheit sehnenden Menschen aus dem Banat und Siebenbürgen. Die Bundesrepublik Deutschland zahlte ab nun Kopfgeld, um die festgelegte Ausreisequote von 11.000 Auswanderern pro Jahr zu verwirklichen. Der deutsche Außenminister ahnte damals schon einen schnellen Untergang des deutschen Kulturgutes in Rumänien. Es stand fest, was unsere Ahnen innerhalb vor zirka 250 Jahren aufbauten, sollte in den nächsten Jahren in aller Deutlichkeit erloschen sein. Der Drang und Druck, Sanktandres je schneller zu verlassen, stieg erheblich. So zahlten viele Landsleute zusätzlich bis zu 5.000 DM und auch noch mehr für eine schnellere Ausreise. Diese geschaffene Tatsache von Privilegierten und Nachzüglern für eine rasche Ausreise in die Freiheit brachte sehr viel Neid unter die sonst so friedlichen Sanktandreser Bewohner.
Als staatenlose Bürger verlassen wir die alte Heimat, um als Neuankömmlinge eine neue Heimat zu finden; nicht immer eine leichte Angelegenheit der Ausgesiedelten.
Es waren vor allem junge Menschen, die eine andere Lebensperspektive anstrebten und keine Zukunft im heimatlichen Banat mehr sahen. So ergriffen viele von ihnen eine lebensgefährliche Flucht übers abgeriegelte Festland oder versuchten ihr Glück nach Freiheit über unseren Schicksalsfluss – die Donau. Mehrere junge Andreser fanden dabei ihren Tod.
Das Jahr 1990 war für viele Sanktandreser das Jahr eines Neuanfangs. Nach Ceausescus Sturz zogen massenweise die Menschen in Richtung Westen und wagten einen Neustart in ihrem Leben. Ein Wagnis, das die Emigranten deutscher Herkunft oftmals vor unerwarteten Hürden stellte. Unsere Erwartung, als Deutscher unter Deutschen zu leben, wurde des Öfteren infrage gestellt. Der Stolz der Banater Schwaben, deutscher Herkunft zu sein, wurde hierzulande von vielen neuen Mitbewohnern unwissend nicht zur Kenntnis genommen. Ist es etwa eine Lücke im Geschichtsunterricht in Deutschland, die zur Unwissenheit der deutschen Bevölkerung führt? Jedenfalls fühlten sich viele von uns regelrecht vor den Kopf gestoßen, nach den Jahren in Rumänien, in denen man als Deutscher schikaniert und manchmal sogar als Nazi beschimpft wurde, nun in Deutschland plötzlich als Rumäne angesehen zu werden …
Es ist uns ein Anliegen, diese Zeiten von Flucht, Migration und Neuanfang aus Sicht der Sanktandreser auf unserer Homepage zu thematisieren.
Wir würden uns über einzelne Beiträge zu diesen Gegebenheiten sehr freuen.
Diese Berichte (s. Ortsgeschichte – Unser Existenzende in Sanktandres – Flucht, Migration und Neuanfang) sollen weniger zur Erinnerung der Betroffenen dienen. Diese Tatsachenberichte sollen vielmehr den Kindern, Enkeln und Urenkeln der Beteiligten sowie den Menschen, die die damalige Situation und das Lebensschicksal der Sanktandreser bisher nicht kennen, eine Epoche des Umbruchs in der Deutsch-Sanktandreser Geschichte, vielleicht auch den Werdegang der Banater Schwaben insgesamt verdeutlichen.