Nach Maria Radna in den 1930er Jahren
Anfangs September pilgerten die Sanktandreser nach Maria Radna. Dieses Ereignis war für viele Bauern in der damaligen Zeit ein Ausflug, eine Reise von etwa 50 Kilometer von daheim. Man könnte diese Begebenheit auch als ein Erntedankfest bezeichnen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass jede religiöse Person aus Sanktandres wenigstens einmal in seinem Leben nach Maria Radna gepilgert sein musste.
Die schwere Zeit des Dreschens war vorüber und fürs „Kukruzbreche“ (Maisbrechen) war es noch zu früh. Die Sanktandreser Bewohner hatten ein bisschen Zeit, um diesem Wallfahrtsort einen Besuch abzustatten. Die Teilnehmerzahl war recht groß, sodass etwa acht bis zehn Pferdewagen fahren mussten. Es war nicht einfach, denn für die Vorbereitung für eine Fahrt nach Radna kostete viel Energie. Vor allem der „Radnawagen“ (Wagengefährt mit Pferdegespann) musste unbedingt hergerichtet werden. So mancher Bauer hat seinen Wagen an die „Weißbrick“ (Andreser Wasserstelle mit fließendem Wasser) gefahren und mit einer Wurzelbürste geschruppt bis ins Unermessliche. Das Holz des Wagens musste eben glänzen. Einige Bauern haben ihr Gefährt mit grüner und gelber Farben bemalt. Sie ließen vom Dorfschmied ein Gestell anfertigen, wobei sie anschließend ein grobes Leinentuch darüber spannten. In der Mitte brachte man ein Kruzifix an. Zum Schluss wurde der komplette Wagen mit Blumen, die die Jahreszeit hergab, geschmückt. Die Kinder gingen zu jener Zeit eifrig die „Radnablumen“ pflücken. Auch die Pferde hat man am Andreser Graben gebadet und „gstrigglt“ (gebürstet). Die Pferde waren von diesem Vorgang sehr angetan, fühlten sie sich regelrecht wohl befreit von Arbeitsschweiß und Dreck. Im vorderen Bereich des Wagens – im „Schragl“ – stellte man eine Kiste für die „Brotsäck“ (Essensvorrat) bereit. Im hinteren Teil des Wagens deponierte man Heu und Hafer für die Tiere.
Der Reisetag war gekommen. Donnerstagmorgens ging es los. Der Abgang legte man für 3 Uhr in der Früh fest. Treffpunkt war die Kirche in der Ortsmitte. Die Frauen hatten nebst ihrem Reisegepäck ihren Rosenkranz, ein Gebetbuch und eine Kerze bei sich. Die geschmückten Wagen sind in geschlossener Reihe aufgefahren. Die Kutscher saßen stolz auf ihren Wagen und knallten imponierend mit ihren Peitschen. Nach einer Messe und den Segenswünschen für die Pilgerfahrt wurde den Frauen ein Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus übergeben.
Unterwegs ist gebetet und gesungen worden. Die Leute gingen zu Fuß und zogen durch die „Fuchsgasse“. Die Jungs trugen in der ersten Reihe der Prozession ein Kreuz und eine Fahne. Hinterher gingen die Mädchen und Frauen und den Schluss bildeten die Männer. Sehr häufig sang man das Lied „O Maria, hilf uns all hier in diesem Jammertal“. Wie der Zufall es so wollte, meist sang man dieses Lied gerade im Bereich der „Lehmkaul“, ein Areal, wo man übers Jahr die Erde abtrug und anschließend mit Spreu und Stroh eine Dreckmasse anrichtete, um die Hauswände zu glätten, und dadurch eine echte Vertiefung, eine Art Tal entstand. Diese Talmulde erhielt deshalb den Namen „Jammertal“. Der Priester und seine Ministranten begleiteten die Pilger bis zum „Weißen Kreuz“, das hinter der Lehmkaul stand. An diesem Dorfrand haben die Jungs die Fahnentücher entfernt und trugen nur die Fahnenstangen. Der Prozessionsweg führte durch die Lehmkaul zur Arader Straße an dem „Alten Schloss“ vorbei bis nach Schernzhausen (Cerneteaz).
Der Himmel verdunkelte sich. Der Abend war angebrochen. Über die „Quannewecher“ (Feldwege) trampelten die Pilger in Richtung Bruckenau. Es kam manchmal vor, dass diese Wege zu einem Irrgang sich herauskristallisierten. Es schien plötzlich, als stünde ein Labyrinth vor den gottergebenen Männern. Einige Wallfahrer scheuten deswegen nicht ab und zu einen fluchenden Spruch loszulassen, anstatt fromm zu beten. Der Morgen brach an, die geschmückten Wagen traten in Erscheinung. Die Erfahrenheit dieser Fuhrleute zeigte Wirkung.
Atemberaubend trat die Banater Idylle zum Vorschein. Erste Herbstanzeichen zeichneten sich ab. Die Sonne trat in Erscheinung. Die Berge zeigten sich bläulich in weiter Ferne. Die Vöglein erwachten und zwitscherten den Wallfahrer ein Liedlein vor. Die rumänischen Bauern mit der Pelzmütze auf dem Haupt bearbeiteten ihre Felder. Am Bruckenauer Wald guckten scheu und verstohlen die Rehlein zur Andreser Menschenmenge.
Vor jedem Dorf sind die Fahnentücher an die Stangen gehängt worden. In Bruckenau warteten die Wagen auf das gehende Volk. In der „Schanz“ (im Gassengraben), die an den Bruckenauer Häuser vorbeizog, wurde gefrühstückt und eine wohl verdiente Ruhepause eingelegt. „Nett satt esse“ hieß es, denn mit vollem Bauch lässt sich nicht gut gehen.
In der Ortschaft Blumenthal läuteten die Glocken. Die Sanktandreser zogen zur Kirche.
Für die meisten Andreser waren dann die Ortschaften Fibisch und Aliosch eine fremde Welt und so mancher Pilger dachte sich wohl, in Sanktandres war es doch viel heimlicher und schöner. Viele spürten das Heimweh.
In Neudorf war dann eine Übernachtung mit einem Dach überm Kopf angesagt. Ein Heuschuppen mit gut riechendem, aber kratzigem Heu war die Herberge für eine Nacht. Um den jüngeren Buben die Erwartung in Radna schmackhafter zu machen, erwähnten die Halbwüchsigen die schönsten „Peitschestecke“ (Peitschenstöcke), die angeblich hinter der Radnaer Kirche wuchsen.
Am Samstagmorgen sind die Sanktandreser Pilger feierlich in Radna eingetroffen. Die Prozession ging zur Kirche. Welch eine Freude! Maria Radna war von tausenden Pilgern überflutet. Es herrschte ein Treiben wie auf einem großen Jahrmarkt in einer Großstadt. Als Erinnerung kauften die Leute „Radnastickle“ (Andenken von Maria Radna). In Maria Radna gab es auch eine große Anzahl von Kapellen und Bittstationen, die von den Pilgern aufgesucht wurden, um die Hilfe der Heiligen Jungfrau Maria zu erbitten. Nach Ablegung einer Beichte gegen eine kleine Spende erhielten die Gläubigen und ein gekauftes Gebetbuch oder der neu erworbene Rosenkranz den Segen eines Priesters. Diese gesegneten Kostbarkeiten wurden von den Frauen das ganze Leben mit Ehrfurcht behandelt.
Foto: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien
Am Montag in der Früh begann die Rückfahrt. Die Heimfahrt war recht lustig. Am „Popetal“ – eine Talmulde vor Sanktandres – wo viele Akazienbäume beheimatet waren, warteten viele Kinder und Erwachsene auf die Radnaleute. Mit großer Begeisterung nahmen die Kinder die Andenkartikeln von Radna entgegen. Ein Rosenkranz aus Letzelter (Lebkuchengebäck), ein „Pfiffche“ (Pfeife), eine „Fluier“ (Flöte), Marienbilder, vielleicht auch eine „Buckeltasch“ (Schulranzen) und vieles mehr war das Angebot, das die Leute aus Radna mitbrachten. Die Begrüßung fand eigentlich am „Weißen Kreuz“ statt, wonach sich ein gemeinsamer Zug der Pilger und Empfänger mit festlichen Blasmusikklängen zur Kirche begab. Den Abschluss der Pilgerreise bildeten ein Dankgebet, ein Reisebericht und sonstige Erlebnisse, die auf dem Weg geschehen, in der Heimatkirche.
Die Pilgerfahrt nach Maria Radna war für viele Frauen und Männer des Dorfes ein Höhepunkt im religiös-gesellschaftlichen Leben der damaligen Zeit.
Quelle: Eine Zusammenfassung der Beiträge „Iwer`s Radna Fahre“ vom Wußlich Toni (Matthias Weber) und „Mutter pilgert nach Radna“ von Josef Rieger in den Sanktandreser Heimatblätter