Im Jahr 1989 nach der Revolution in Rumänien, die ihren Ursprung in der Banater Landeshauptstadt fand, entwickelte sich sofort der Exodus der Rumäniendeutschen in den Westen Europas, in die Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 80 Prozent der Bewohner deutscher Nationalität von Sanktandres verließen als Staatenlose schlagartig das Land Rumänien.
In den Jahren davor ab ca. dem Jahr 1960 baute sich jedoch eine sonderbare Entwicklung der ausreisewilligen Banater Schwaben auf. Nur unter schwierigen Umständen konnte der eine oder andere ausreisewillige Bürger des kommunistischen Landes Rumänien verlassen. Der neu ernannte Staatschef Nicolae Ceaușescu, der im Jahre 1965 nach dem Tod von Gheorghe Gheorghiu-Dej die Macht übernahm, verriegelte erst recht die rumänischen Staatsgrenzen zum westlichen Europa. Durch außergewöhnlich westlich orientierte Ansichten des neuen Staatschefs zum “Prager Frühling” im Jahr 1968 machte sich Ceaușescu jedoch global einen guten Namen. Durch die gegenseitige Anerkennung im Jahr 1967 zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland bauten sich allmählich die Beziehungen zwischen beiden Ländern wesentlich auf.
Man staunte jedoch, trotz der aufbauenden Partnerschaft ist nur einzeln dem einen oder anderen Sanktandreser im Banat eine Ausreise nach Deutschland gelungen. Der richtige Anstoß zur sogenannten Familienzusammenführung ist erst ab 1975, nachdem eine rumänische Delegation mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn Gespräche führte, vonstattengegangen.
Plötzlich kam eine ganz andere Strategie ins Rollen. Die deutschen Lehrkräfte waren die ersten Ausreisenden zu jener Zeit. Da die Bezahlungen in Abstufungen von Bildungsgraden vollzogen wurden, brachten die Akademiker das meiste Geld. Man ahnte schlimme Folgen dieses hinterhältigen Kalküls. Ein Untergang des banat-schwäbischen Kulturgutes war im Anmarsch. Ortsbewohner, die vorher nie nach Deutschland emigrieren wollten, die sich immer zutiefst an ihre Heimat gebunden fühlten, zog es plötzlich auch in den Westen (s. dazu Sanktandres-Ortsgeschichte-Unser Existenzende in Sanktandres). Viele junge Menschen begaben sich in große Gefahr und wagten illegal die fest militärisch abgeriegelten Grenzen zu überqueren. Dabei verloren einige Menschen ihr Leben. Zunehmend erteilte man staatenlose Reisepässe an die Bewohner, die seit Jahren oder seit Neuestem eine Ausreise anstrebten. Man munkelte und man hörte auch von deutschen Medien von Zahlungen der deutschen Regierung an die rumänische Zentralbehörde in Bukarest (s. Bericht DW-TV: Politik direkt). Der Gedanke nun als letzter Banater Schwabe die Ortschaft zu verlassen, war groß und erschütternd. Bitterer Unmut kam auf. Plötzlich hörte man von gesonderten Geldentrichtungen in deutscher Währung an Personen, die sich dieser Sache Ausreise annahmen. Am Anfang drangen nur selten die Summen von 5.000 – 8.000 DM pro Person in die Gespräche der Ortsbewohner, später war dies dann gang und gäbe. Die Bezugspersonen zum rumänischen Geheimdienst Securitate, der eine zusätzliche Verkaufsstrategie von Menschen in Bewegung setzte, bereicherten sich in hohem Grade.
In der Bundesrepublik Deutschland angekommen, wurden die zunächst staatenlosen Migranten über ihre Ausreiseverfahren vom BND befragt. Die Mehrheit der erkauften Menschen schwiegen jedoch.
Die Banater Schwaben haben sich in ihrem Ursprungsland – sind ihre Ahnen doch vor 300 Jahren aus diesem Land Deutschland ausgezogen – gut integriert. Sie fanden in hohem Maße auch viel Anerkennung. Das tut gut (s. ein Podcast des bayerischen Ministerpräsidenten von der Bayerischen Staatskanzlei zur 70. Jahrfeier der Banater Landsmannschaft).
Erst nach Jahrzehnten kommen plötzlich bis dahin verschwiegene Betrachtungsbilder ins Gespräch. In einem Interview mit dem deutschen Journalisten Ulrich Wickert spricht der ehemalige Bundeskanzler von barbarischen Umständen bei seinen Verhandlungen mit dem rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu und dessen Frau Elena (s. Podcast).
Zurzeit 2022/2023 sorgt dieses Thema vor allem in Rumänien für Zündstoff. Mit einer Inszenierung von Carmen Lidia Vidu über den Verkauf der Rumäniendeutschen während der Diktatur Nicolae Ceaușescus nahm das Deutsche Staatstheater Temeswar im November 2022 an einem nationalen Theaterfestival teil und erhielt in der Fachpresse Anerkennung und viel Lob.
In einem Podcast in rumänischer Sprache Viva Historia mit Hodor und Tetelu im Gespräch mit der Regisseurin dieses Theaterstückes “Menschen. Zu verkaufen” werden sehr interessante Daten dieses damaligen Vergehens betrachtet und aufgegriffen. Überzeugen Sie sich selbst.
Nun wurde zu diesem Thema ein weiterer Beitrag veröffentlicht. Cristian Ivaneş führt ein halbstündiges Interview mit dem Journalisten Ernst Meinhardt, ein Banater Schwabe, der als erster Journalist von dem ehemaligen Verhandlungschef Dr. Hüsch eingeladen wurde und deshalb genaue Zahlen und Details an die Öffentlichkeit tragen kann (s. Cristian Ivaneş: Wie Rumänien seine Deutschen verkaufte…).
Deutsche Welle-TV: Politik direkt
Bayerischer Ministerpräsident an die Banater Schwaben
Altbundeskanzler Kohl im Interview mit U. Wickert
Regisseurin von “Menschen. Zu verkaufen” im Gespräch
„Menschen. Zu verkaufen“ in der Zeit der kommunistischen Regierung in Rumänien war das Thema eines geschichtlichen Ereignisses im Podcast VIVA HISTORIA, moderiert von Hodor und Tetelu. Zu Gast war die Regisseurin dieses Theaterstückes Carmen Lidia Vidu. Die Runde diskutierte und analysierte detailliert dieses stattgefundene Ereignis zwischen 1967 und 1989.
Carmen Vidu: “Ich habe mir eine schwierige Aufgabe gestellt: Aus einem geschichtlichen Vorgang eine Inszenierung zu entwickeln. Die Akten zur operativen Personenkontrolle und zu operativen Vorgängen zeigen, welche Schikanen Menschen erdulden mussten, die ausreisen wollten: Sie wurden eingeschüchtert, zuhause sowie am Arbeitsplatz beobachtet, sie verloren ihren Arbeitsplatz. Der Geheimdienst Securitate trat Menschenrechte mit Füßen, darunter auch das Recht auf Reisefreiheit. Oft wurden Besitzer von Immobilien unter Druck gesetzt und waren genötigt, mit Hilfe gefälschter Papiere Häuser und Wohnungen Securitate-Offizieren zu überlassen. Rumänien war zur Zeit des Kommunismus ein terroristischer Staat, der seine Bürger als Geiseln nahm. Kann man jemand wirklich retten, der wie eine Ware behandelt wird? Welches ist unser Verhältnis zur Geschichte? Kann man mit einem Diktator verhandeln? Dieses sind einige Fragen der Aufführung. Ich habe mich für den Titel “Menschen. Zu verkaufen” entschieden, weil er die Frage stellt: ‘Welches ist mein Preis?’, Wieviel würdest du für dein Leben bezahlen?”
Quellenzitat: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, April 2022
VIVA HISTORIA: Menschen zu verkaufen (inhaltliche Ausschnitte einer Diskussionsrunde in rumänischer Sprache übersetzt ins Deutsche)
Das Deutsche Staatstheater Temeswar trat an die renommierte Regisseurin mit der Bitte an, sie solle über dieses Thema mit einem beweiskräftigen Hintergrund ein Theaterstück inszenieren. Sie hatte jedoch zu jener Zeit sehr wenig Bezug zu dieser Thematik. Sie wusste zwar von einem Verkauf von Juden, aber der Menschenhandel der ethnisch deutschen Bevölkerung im Banat und Siebenbürgen war ihr völlig neu, obwohl die Araderin die Migration von Freunden in der damaligen Zeit teilweise miterlebte. Die Mehrheit dieser Menschen verschwieg diesen Menschenhandel, getrieben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Nach einer chronologischen Schicksalsaufzeichnung der Juden in den kommunistischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg eröffneten die Gesprächsteilnehmer eine Diskussion in Bezug auf die deutsche Bevölkerung in Rumänien, die als Faschisten bezeichnet, nach Russland und in die Baragansteppe deportiert wurden. In den 50er Jahren ist dieser Volksgruppe auch eine höhere Ausbildung in Rumänien verweigert worden etc. In Ceausescus Amtszeit verschlechterte sich allmählich die kulturelle und konfessionelle Lebenssituation der deutschen Minderheit in Rumänien, was diese Völkergruppe bewog dieses Land letztendlich zu verlassen.
Die Regisseurin spricht über den Aufbau ihres Werkes. Sie sammelte und las viele Dokumente, die ihr zur Verfügung gestellt wurden. Zur damaligen Zeit berichtete die deutsche Presse intensiv von Zahlungen wegen Wiedergutmachung bzw. für Familienzusammenführungen an den rumänischen Staat. Rechtsanwalt Hüsch verhandelte diesbezüglich geheim mit rumänischen Behörden des kommunistischen Staates. Auch die zusätzlich individuellen Zahlungen der ausreisewilligen Rumäniendeutschen hat die Regisseurin eingehend recherchiert.
Wie kam es überhaupt zu den Familientrennungen? Man berichtet zum Beispiel von dem Dorf Costinesti, das einst von Dobrudschadeutschen besiedelt war. Sie verließen kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges diese Gegend, was für Rumänien bedauerlicherweise eine schmerzhafte Angelegenheit war, so der Moderator. Ihm sind traurige Bilder des Verlassens dieser Gegend bekannt. Nach dem Krieg war ständig eine Völkerwanderung in Europa in Gang. Über das Rote Kreuz versuchten die Familien sich wieder zusammenzufinden.
Es kommt der Rechtsanwalt Heinz Günther Hüsch zu Wort, der von seiner Aktivität als Vermittler zwischen der deutschen Regierung und der „Securitate“ (Geheimdienst) berichtet.
In der nachfolgenden Diskussion wird deutlich, dass der westdeutsche Staat für die Schäden und Leiden der europäischen Bevölkerung während des Krieges aufkam. Auch dem rumänischen Staat wurde hierzu ein Entschädigungspaket geschnürt. Selbst für Menschen, die als Zwangsarbeiter in Rumänien während des Zweiten Weltkrieges verpflichtet wurden, zahlte der deutsche Staat etc. Ceausescu wollte ein Gesamtpaket von Zahlungen, während dies in einem nichttotalitären Staat nicht möglich ist. Alle Zahlungen müssen in einem demokratischen Staat klar und deutlich klargelegt werden, so die Schlussfolgerung der Teilnehmerrunde. Humanitäre Aspekte waren Ceausescu gleichgültig.
Carmen Lidia Vidu schildert, wie unbeschreiblich schwierig es war, all diese Informationsdaten in dieses Theaterstück einfließen zu lassen. Sie stellte vier Varianten für ein zu verstehendes Szenarium auf. Für sie war wichtig, diesen Handel weitgehend dem Publikum verständlich zu machen.
Ein damaliger Vertreter der damaligen Regierung, Stelian Octavian Andronic, schildert kurz einige Verhandlungsoptionen.
Was zu verkaufen war, wurde verkauft, egal ob es Juden, Deutsche oder andere Nationalitäten waren. Ceauşescu war nicht angetan von den mitlebenden Nationen im rumänischen Staat, meinte Carmen Lidia Vidu. Sie meinte weiter: Die Deutschen verließen ihre gepflegten Häuser und die Eingezogenen dürften sich darüber gefreut haben. Die meisten Migranten kamen vom Land und waren heimatlich verbunden. Das gemeinschaftliche Leben im Heimatort dieser Leute wurde jedoch vom kommunistischen System vernichtet. Da gab es keinen Unterschied zwischen Banater Schwaben oder Siebenbürger Sachsen. Nur wenige ethnisch Deutsche blieben noch zurück auf dem rumänischen Territorium. 850 Jahre der Siebenbürger Sachsen und 250 Jahre der Banater Schwaben auf rumänischem Territorium wurden innerhalb von 25 Jahren anhand dieses Handels zunichte gemacht. Eine Kultur, eine Konfession, eine Dorfgemeinschaft, gute Fachkräfte, Bräuche usw., alles, was diese Menschen aufbauten, ist verschwunden.
Man stellte fest, dass nach der Aufführung dieses Stückes gewisse Emotionen bei den Zuschauern aufkamen. Viele weinten. Die Einbindung eines Liedes beim Abschied des Verlassens ihrer Heimat am Schluss des Theaterstückes erweckte ein trauriger Moment dieser Zeit. Der letzte Siebenbürger Sachse von Reichesdorf (Richiş), Johann Schass, erzählt eine kurze Geschichte eines Menschenhandels.
Es wird ein Spot aus dem Leben der deutschen Bevölkerung – Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen – in der kommunistischen Ära gezeigt.
Anschließend erzählt die Regisseurin, wie sie das komplette Haus vor der ersten Probenaufnahme dieses Stückes zu einem Dialog einlud. Sie schrieb den Text in rumänischer Sprache und wurde vom Kulturdirektor des Theaters ins Deutsche übersetzt. Um auf Sicherheit zu gehen, dass ihre Arbeit eine vollkommene Korrektheit erreicht hat und dem Wortsinn ihres Textaufbaus vollkommen entspricht, las sie in Rumänisch und lies mehrmals jede Passage von den Mitwirkenden nochmals übersetzen. Die Akteure wurden befragt und gezielt eingebunden. So entstand zum Schluss eine echte Gruppenarbeit. Es soll ja auch eine geschichtliche Aufarbeitung erwägt werden. Zur Aufführung. Beteiligte, die diese Zeit des Handels mit erlebten, saßen im Theater und waren plötzlich geschockt, als auf der Bühne die Unterhändler des rumänischen Geheimdienstes, den sie vor Jahren mit Geld vollpumpten, zur Schau gestellt wurden. Erinnerungen kamen auf: der unfreiwillige Hausverkauf, der Verlust des Arbeitsplatzes usw. ohne zu wissen, wann du emigrieren kannst. In Deutschland als Staatenlose angekommen, war für die erste ausgereiste Generation bestimmt diese Umstellung nicht leicht, obwohl sie sehr schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert waren. In Deutschland waren sie willkommen.
Rumänien arbeitet zurzeit dieses Thema Schritt für Schritt auf. Eine Einstufen der Dokumente ist voll in Gang.
Ein Gespräch von Cristian Ivaneş
mit dem Journalisten Ernst Meinhardt
Dr. Cristian Ivaneş betätigt sich in dem Fachgebiet und Forschung:
– die Geschichte Mittel- und Osteuropas;
– Naher Osten in der Neuzeit;
– Politologie;
– Journalismus.
Ernst Meinhardt ist ein Banater Schwabe, geboren in Temeswar. Er ist beeidigter Dolmetscher und ermächtigter Übersetzer für Rumänisch und Journalist. Meinhardt war von 1981 bis 1993 als Redakteur bei RIAS Berlin und von 1994 bis 2018 als Redakteur bei der Deutschen Welle Berlin tätig.
Ernst Meinhardt ist Vorsitzender des Vereins Banater Schwaben Berlin und ostdeutsche Bundesländer e. V.
https://www.banater-schwaben.org/vereinsleben/landesverbaende/berlin-und-neue-bundeslaender.
Ernst Meinhardts Ziel ist, die Öffentlichkeit über eine deutsche Minderheit zu informieren, über die sie nur wenig weiß.
Folgende Berichte dürfte die Besucher unserer Website auch interessieren:
https://www.banater-schwaben.org/nachrichten/dokumentation/dokumentation-detail/2724-was-kosten-die-fische-wann-werden-sie-gefangen?tx_news_pi1%5Bday%5D=26&tx_news_pi1%5Bmonth%5D=07&tx_news_pi1%5Byear%5D=2019&cHash=6ce38b947b103c8810b1c96e00143438
und
https://adz.ro/meinung-und-bericht/artikel-meinung-und-bericht/artikel/der-beginn-bundesdeutscher-zahlungen-an-bukarest-fuer-den-freikauf-der-rumaeniendeutschen
Wie Rumänien seine Deutschen verkaufte und wie viel. Die Geschichte eines Unternehmens mit Schicksalen und viel Geld. (inhaltliche Ausschnitte einer Diskussionsrunde in rumänischer Sprache übersetzt ins Deutsche)
Cristian Ivaneş ist sich bewusst, dass der Journalist Ernst Meinhardt in all den Jahren mit deutschen Journalisten gute Beziehungen aufbauen konnte, die sich mit dem besonderen Phänomen, nämlich mit dem Verkauf der Deutschen aus Rumänien mit West-D-Mark, beschäftigen. Deshalb ist der rumänische Forscher interessiert, ein Gespräch mit dem Journalisten Ernst Meinhardt aus Berlin zu führen.
Die Diskussion versteift sich hauptsächlich auf den Verkauf der deutschen und der jüdischen Bevölkerung in Rumänien. Diese zwei Völkergruppen sind praktisch aus Rumänien verschwunden. Wenn im Jahr 1930 etwa 750.000 Deutsche und 800.000 Juden in Rumänien lebten, so waren es im Jahr 2011 nur noch etwa 36.000 Deutsche und 3.000 Juden, die sich zu diesen Nationalitäten bekennen.
Seit 2004 beschäftigt sich der deutsche Journalist Meinhardt mit diesem Thema. Er stellte zu diesem Zeitpunkt fest, dass ihm viel zu wenig über dieses Kapitel bekannt war, ist er doch schon im Jahr 1970 aus Rumänien ausgereist. Bis dahin drangen ihm nur Gerüchte vom Verkauf der Deutschen aus Rumänien ans Ohr. Konkretes Material fehlte ihm jedoch dazu. Er entschloss sich, in verschiedene Archive zu gehen, um genaue Daten zu recherchieren. Er besuchte das Bundesarchiv in Koblenz, das Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, das Archiv der Evangelischen Kirche usw. und stellte anschließend fest, dass die Daten nicht ausreichten. So entschloss er sich mit dem Verhandlungschef, der die Verhandlungen zwischen Deutschland und dem kommunistischen Rumänien auf diesem Gebiet führte, mit Dr. Heinz-Günther Hüsch, Kontakt aufzunehmen. Im Jahr 2009 hat der deutsche Verhandlungsführer ihn zu sich nach Neuss geladen. Es war Hüschs erstes Interview, das er einem Journalisten zu diesem bis dahin geheimen Thema widmete. 40 Jahre wurde darüber geschwiegen. Somit erfuhr der Journalist Meinhardt von Hüschs geheimer Mission, die sich im Jahr 1968 in Bewegung setzte. Es wurde vom Innenministerium der BRD festgelegt, diesbezüglich keine Veröffentlichung in der Presse zu dulden bzw. bekanntzugeben.
Vor Dr. Hüsch beschäftigte sich ein anderer Rechtsanwalt mit dem Freikauf, übrigens auf einer anderen Grundlage. Dr. Ewald Garlepp aus Stuttgart bearbeitete Listen von einem deutschen Ministerium oder auch vom Deutschen Roten Kreuz mit Rumäniendeutschen, die aus dem kommunistischen Rumänien freigekauft werden sollten. Tausende Mark waren dafür angesetzt. Er verhandelte mit dem rumänischen Rechtsanwalt Crăciun Serbănescu über die Ausreisebedingungen der Deutschen von Rumänien. Der nächste Verhandlungspartner war der Rechtsanwalt Roman Porăstău. Nach der Ausreise der Rumäniendeutsche wurde das Geld auf das Konto des rumänischen Geheimdienstes eingezahlt. Dafür gab es mehrere Banken, die derartige Überweisungen im Auftrag des Geheimdienstes ermöglichten.
Nach 1968 verhandelte Dr. Hüsch in einem ganz anderen Auftrag. Es ging nun um einen Freikauf aller Ausreisewilligen deutscher Nationalität von Rumänien. Andere Geldsummen kamen ins Gespräch, die die Verhandlungspartner für den Freikauf diskutierten. In diesem Fall war nur die Bundesrepublik der Geldgeber. Nach 1968 sind auch die genauen Geldbeträge bekannt, die Dr. Hüsch aushandelte. Sechs vertrauliche Abkommen hat er mit der rumänischen Seite vereinbart. Die erste Konvention beinhaltete drei Kategorien: A, B und C. Für die Kategorie A wurden 1.700 DM bezahlt, für die II. Stufe (Studenten) bezahlte man 5.000 DM und für die III. Sorte (Akademiker) wurden 10.000 DM an die „Securitate“ entrichtet. Wohlgemerkt: Die Zahlung erfolgte pro Kopf. Das Abkommen galt für ein Jahr, denn es handelte sich um eine sogenannte Testphase beider Seiten. Das Geld wurde in bar auf den Tisch gelegt. Die Tausende von D-Mark wurden in einem Koffer transportiert und in Bukarest abgegeben. Eine fabelhafte Geschichte. Das erste Abkommen, das nur mündlich vereinbart wurde, begleitete nur einen Schmierzettel, auf dem die drei vereinbarten Summen notiert waren. Es gab keine Quittungen! Seine ersten Gesprächspartner waren: Alecsandru Martinescu und Colonel Gheorghe Marcu, der später zum General befördert wurde. Ernst Meinhardt bezweifelt aber, ob diese beiden Herren überhaupt diese Namen trugen. Das dritte geheime Abkommen dauerte drei Jahre von 1970 bis 1973. Der Preis zum Verkauf der Menschen wurde neugeordnet. Plötzlich diskutierte man über mehrere Klassifizierungen. Die Beträge gestalteten sich nach Studienjahren (5.000 und 7.000 DM), für Absolventen des Studiums (11.000 DM) und für Fachkräfte (2.900 DM). Dr. Hüsch war von dieser Aufteilung nie angetan, wollte er doch eine einheitliche Summe für jeden Deutschen aus Rumänien bezahlen. Sein Wunsch ging erst im Jahre 1976 in Erfüllung, als der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Ceauşescu auf höchster Ebene verhandelte. Man legte eine Summe von 4.000 DM pro Migrant fest. Die Summe stieg stetig an und wurde Ende der 1980er-Jahre auf einen Betrag von 9.000 DM pro Kopf hochgeschraubt.
Die Korruption von Hintermännern der Securitate in den 1980er Jahren ist unbedingt zu erwähnen. Die Geldgeber wie auch die Empfänger schweigen nach wie vor. Viele Einzelheiten bleiben dadurch in einem weitreichendem Schattengebiet. Herr Meinhardt, der im Jahr 1970 Temeswar als Banater Schwabe das Land verließ, glaubt zu wissen, dass nur die bezahlten Summen von Herrn Hüsch, die Ausreise seiner Familie ermöglichte. Ernst Meinhardt führte ein Ansteigen dieser Korruption ab den 1980er Jahren an. Nur durch Extra-Zahlungen an Securitates Drahtzieher konnten Ausreisebewilligungen beschleunigt werden, so das Gerücht der deutschen Bevölkerung in dem kommunistischen Rumänien. Diese Anschauung kursierte damals allgegenwärtig. Meinhardt zählte vier derartige Vermittler von Temeswar auf. Der bekannteste Vertreter solcher Machenschaften war Căprariu, auch Gärtner oder Blumenmann von den Banater Schwaben genannt. Am Anfang wurde von diesen Hintermännern 4.000 DM pro Kopf verlangt, aber im Jahr 1989 waren es schon 8.000 DM pro ausreisewilliger Person. Manchmal kamen Beträge bis zu 16.000 DM zur Zahlung. Die Verwandten aus Deutschland streckten das geforderte Geld vor. Es war erspartes Geld oder aber auch ein aufgenommener Kredit zu diesem Zweck.
Auch die Juden aus Rumänien wurden verkauft, übrigens schon viel früher. Der Verkauf dieser Volksgruppe begann schon in den 1950er Jahren. Die Grundlage funktionierte etwas anders. Der rumänische Staat verlangte eine bestimmte Summe für ihre Ausreise und die Verwandten der ausreisewilligen Juden mussten für das geforderte Geld aufkommen. Auch hier waren die Nutznießer des Verkaufs die Männer der Securitate. De facto taten sich auch in diesem Zusammenhang unfassbare Ereignisse auf. Dadurch wurden Embargos, die gegen die kommunistisch geführten Länder ausgerufen worden waren, gebrochen. Landwirtschaftliche Produkte wurden heimlich ins Land geführt. Geheimdienstgeneral Ion Mihai Pacepa, der 1978 aus Rumänien floh und sich in den Vereinigten Staaten von Amerika absetzte, berichtete in seinem 1988 erschienenen Buch „Roter Horizont“ ausführlich darüber.
Heutzutage weiß man, dass zwischen 1968 und 1989 circa 250.000 Deutsche aus Rumänien an die Bundesrepublik Deutschland verkauft wurden. Durch eine sogenannte „spätere Legalisierung“ zahlte der deutsche Staat auch für die Flüchtlinge, die ihr Leben an der Grenze aufs Spiel setzten. Wie viel DM vor 1968 bezahlt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Zwischen 1950 und 1960 dürften nicht mehr als 10.000 bis 15.000 Deutsche ausgesiedelt sein. Im Jahr 1954 waren es nur 8 Deutsche aus Rumänien, die emigrierten. Die niedrigste Zahl von deutschen Aussiedlern in einem Jahr.
Cristian Ivaneş bedankt sich bei Ernst Meinhardt. Er meint, eine faszinierende Geschichte erfahren zu haben, wobei eine Viertelmillion rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität aus der Sozialistischen Republik Rumänien gekauft bzw. verkauft wurden.
Aufarbeitung unserer Vergangenheit
Immer wieder finden in Rumänien Konferenzen und Veranstaltungen statt, die auf den betriebenen Menschenhandel von 1962 bis 1989 im kommunistischen Rumänien hinweisen und stets neue Fragen in den Raum stellen. Der Verkauf der Volksdeutschen (Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen) im kommunistischen Rumänien steht nach wie vor im Brennpunkt vieler rumänischen Historiker.
(zu “Wege in die Freiheit” s. auch unten aufgeführten Link)
So auch eine Veranstaltung, die am 12.12.2023 im Bukarester Friedrich-Schiller-Kulturhaus. Es referierte Dr. Florian Banu, leitender Berater am Nationalrat für die Erforschung der Unterlagen der Securitate (CNSAS). Der Vortrag betitelte sich „Geld, Autos und Reisepässe. Das Geschäft und die Auswanderung der Volksdeutschen und Juden aus Rumänien“ gewidmet der illegalen Flucht der Rumänen und der Aussiedlung der Rumäniendeutschen und Juden während des kommunistischen Regimes. Das Event beim Sitz des Schillerhauses wurde von der Projektleiterin Aurora Fabritius koordiniert. Die Veranstaltung (Konferenz) wurde auch online über die Zoom-Plattform unter cultura@casaschiller.ro ausgestrahlt.
Dr. Banu informierte ausführlich vom Verlauf der Abmachungen zwischen dem deutschen Staat (BRD) und der Securitate (rum. Geheimdienst) und zum Teil auch von den Vereinbarungen auf höchster politischer Ebene beider Länder. Der leitende Berater der o. g. Institution meinte: Dieses Geschichtsthema sei seit 1990 von nationalem Interesse. Man stelle sich auch immer wieder die Frage der Veruntreuung der Schmiergelder. Wo ist dieses Geld geblieben? Dokumente und Presseberichte dieser Zeit wurden an die Leinwand projektiert. Im Anschluss fand eine Diskussionsrunde statt. Es kam die Frage auf, warum nicht auch Deutschland glaubwürdige Dokumente auf den Tisch legt. Ein Teilnehmer bestritt jedoch diese Haltung und meinte, der Geldfluss in der Zeit des Menschenhandels ist seitens Deutschlands offenbart, die Listen mit den verkauften Volksdeutschen liegen jedoch im Archiv des rumänischen Geheimdienstes. Für die geordneten schriftlichen Aufstellungen von Ausreisewilligen und deren Kopfgelder hatte die damalige BRD keinen Einfluss darauf.
Die interessante Konferenz hielt zwei Stunden an und kann unter folgendem Link angesehen werden: https://youtu.be/A9dUyuHCWeU?si=a2SG9daYDIAxdRYZ
Weitere Infos zur Aufarbeitung kann man unter folgenden Links erhalten:
Ich bin positiv überrascht dass diese schmerzhafte Zeit jetzt aufgearbeitet wurde. Es wäre wichtig diese Themen zu verbreiten, auch in Schulen, denn es gehört nicht nur zur deutschen, sondern auch europäischen Geschichte.